Anfangsunterricht Klavier - Grundlagen

Guter Anfangsunterricht bereitet den Boden für die musikalischen und pianistischen Fertigkeiten, die notwendig sind, um gut Klavier spielen zu können. Die Frage ist also zunächst, welche Voraussetzungen wir für ein differenziertes, ausdrucksstarkes und virtuoses Klavierspiel brauchen. Was berührt uns beim Spiel großer Pianisten?

Was macht gutes Klavierspiel aus?

„Das Klavier ist ein Schlaginstrument, das man zum Singen bringen muss.“

Vladimir Horowitz

Es ist ihr Musikverständnis, ihre Fähigkeit, ein Stück so fesselnd und zwingend zu interpretieren, dass wir alles um uns herum vergessen. Dazu zählen ein sehr feines Gehör, ein Gefühl für den Raum zwischen den Tönen, für Strukturen und Entwicklungen, ein untrügliches Gespür für Phrasierung, Rhythmus, Timing, Dynamik, Agogik, eine differenzierte Artikulations- und Anschlagskunst sowie die Fähigkeit, Musik in aller klanglichen und emotionalen Vielfalt wahrzunehmen und darzustellen. Außerdem das dringende Bedürfnis, über Musik mit Menschen zu kommunizieren, sie zu berühren und die Technik, all dies auf dem Klavier umsetzen zu können.

Was bedeutet das für den Anfangsunterricht?

„Wer mit Musik ins Leben startet, bereichert dadurch all seine späteren Tätigkeiten.“

Zoltán Kodály

Inhalte eines gelungenen Anfangsunterrichts

Gehör schulen

Anfangsunterricht - Grundlagen, Schulung des Gehörs

Es bedeutet, dass die Gehörschulung an allererster Stelle stehen muss. Schon in der ersten Stunde erfindet der Schüler kleine Improvisationen über die gesamte Klaviatur samt Pedal – das Klavier ist gerade auch für den Anfangsunterricht ein traumhaftes Instrument mit seinen vielfältigen Möglichkeiten. Wie klingt es, wenn es regnet, hagelt, gewittert? Wie klingt es, wenn wir eine Treppe herunterrennen? Mit welchen Klängen kann ich einen Zoo darstellen? Wie klingt es, im Urlaub am Strand zu liegen und vor sich hin zu träumen? Welche Töne nehme ich für eine Frage, welche für eine Antwort, wie führe ich eine Melodie weiter, wie vertone ich Abzählreime, Verse, kleine Gedichte ….. ? Die Möglichkeiten sind unendlich und verbinden Musik und klangliche Ideen mit eigenen Lebenserfahrungen und den dazugehörigen Emotionen.

In der ersten Stunde spielt der Schüler bereits bekannte Lieder nach Gehör – zunächst werden sie gesungen, später transponiert und mit einfachen Quinten begleitet. Kleine Melodien werden nachgespielt und selbst erfunden, unterschiedliche Lautstärken ausprobiert. Oft sind Schüler überrascht, was sie nach der ersten Stunde schon alles können.

Nach Gehör zu spielen und Lieder begleiten zu können geht automatisch einher mit dem Erleben von Konsonanzen und Dissonanzen, Intervallen und Akkorden. Wie sollte der Schüler sonst die richtigen Melodietöne und die passenden Quinten/Akkorde auf dem Klavier finden!

Klavier kennenlernen

Anfangsunterricht Klavier - Grundlagen, Funktionsweise des Klaviers, FlügelmechanikDie Funktionsweise des Klaviers ist ein weiterer wesentlicher Punkt. Wie entsteht ein Ton, wie wird er beendet, was haben die Pedale für eine Funktion, wozu gibt es einen Resonanzboden, was bedeuten die unterschiedlich langen Saiten, was kann ich mit einer Taste alles anstellen …. ? Auch hier richtet sich die methodische Vorgehensweise nach dem Alter des Schülers. Kinder lieben es, im offenen Flügel mit Klängen zu experimentieren, Geistergeschichten zu erfinden, mit der Stimme ein Echo zu erzeugen – Erwachsene mögen oft eine rationalere Herangehensweise.

Wo ist was

Anfangsunterricht Klavier, Orientierung auf der KlaviaturDie Orientierung auf dem Klavier und ein Gefühl für das „Tastengelände“ mit seinen schwarzen und weißen Tasten ist ein weiteres didaktisches Ziel. Kinder lernen spielerisch (Ratespiele, Blindspiele ….), sich zurechtzufinden, Erwachsene lernen solche Dinge sehr schnell aufgrund ihrer größeren intellektuellen Fähigkeiten.

Rhythmusgefühl

Anfangsunterricht Klavier, Rhythmusgefühl, RhythmusUm ein sicheres Gespür für Rhythmus, Puls und Metrum zu entwickeln, wird (nicht nur) im Anfangsunterricht experimentiert mit Notenlängen, Taktarten, Rhythmussprache etc. Vor allem Kinder erleben rhythmische Vorgänge ganzkörperlich mit viel Bewegung und klatschen, trommeln, tanzen, nutzen Orffsche Instrumente u.v.a.m. Auch Erwachsene profitieren sehr von einer Herangehensweise, die Bewegung zur Darstellung rhythmischer Elemente nutzt.

Bewegung

Anfangsunterricht Klavier - Grundlagen, Bewegung

Kinder erfahren Musik spielerisch, mit allen Sinnen und viel Bewegung. Sie nutzen Bewegung auch, um Charaktere, Emotionen und musikalische Strukturen darzustellen. Elemente aus der Rhythmik verbinden Musik und Bewegung zu einem ganzheitlichen Erlebnis.

 

Technische Grundlagen

Anfangsunterricht Klavier - Grundlagen, Klaviertechnik, technische GrundlagenEbenso werden die Grundlagen einer fundierten Klaviertechnik bereits im Anfangsunterricht gelegt. Virtuosität ist nur möglich, wenn der Körper, Arme und Hände durchlässig sind und keine Gelenke blockiert werden. Dazu gehört ein stabiler Sitz. Sehr wichtig sind auch der Einsatz des Arms und eine feine taktile Wahrnehmung der Fingerkuppen. Neben der o.g. auditiven, auf das Gehör bezogenen Herangehensweise wird dazu von Anfang an die gesamte Klaviatur und das Pedal miteinbezogen.

Weiterhin werden technische Grundlagen bei Kindern in sehr spielerischer Form gelegt, indem sie z.B. mit ihren Händen das Klavier putzen, winken, auf der Taste kratzen, die Fingerkuppen wie Saugnäpfe über die Taste ziehen, „Fahrstuhl“ spielen und sich von der Taste hochtragen lassen, verschiedene Materialien mit den Fingerkuppen erfühlen, mit dem Handgelenk Wellen und Kreise machen u.v.a.m. Kleine Übungen, die kurz, aber regelmäßig gemacht werden, sind sehr hilfreich.

Wie wird das Notenlesen in den Anfangsunterricht integriert?

Erst hören, dann lesen

Anfangsunterricht Klavier - Grundlagen, Noten lesenMachen wir zur Beantwortung dieser Frage kurz einen Ausflug in die Welt der Buchstaben. Zuerst lernt ein Kind sprechen. Später ordnet es den gesprochenen Lauten Buchstaben zu – es lernt Lesen und Schreiben.

Auch in der Musik ist es ungeheuer wichtig, erst zu musizieren und ein breites Spektrum an Klängen und Tönen zu erschaffen! Ihnen werden nach und nach die entsprechenden Noten zugeordnet – das Kind lernt Noten lesen und schreiben. Die Reihenfolge muss also immer sein: erst hören und erleben, dann benennen.

Leider beginnen viele Klavierschulen traditionell immer noch mit Noten. Diese Herangehensweise führt in der Regel zu der Zuordnung „die Note – die Taste“, die das Gehör ganz außer Acht lässt. Man nennt dies Auge-Hand-Koordination. Diese Methode ist so verführerisch, weil sich der Ton beim Klavier schon fix und fertig auf der Tastatur befindet. Das große Problem besteht jedoch darin, dass der Schüler lernt, Klavier zu spielen, ohne sein Gehör zu bemühen. Das Ergebnis ist ein sehr mechanisches, ausdrucksloses und undifferenziertes Klavierspiel.

Audiomotorische Herangehensweise

Im Gegensatz dazu steht in meinem Unterricht die audiomotorische Herangehensweise im Vordergrund! Dabei spielt das Gehör eine zentrale Rolle! Wenn wir überlegen, dass wir Musik vorrangig mit dem Ohr wahrnehmen, ist es logisch, dass vorrangig auch das Ohr geschult werden muss. Das bedeutet, eine Auge-Ohr-Hand-Koordination zu etablieren. Dabei hört der Schüler in seiner Klangvorstellung, wie der gelesene Notentext klingt, den er anschließend auf dem Instrument umsetzt. Also „lesen – innerlich hören – spielen“. Natürlich geht das zunächst nur annähernd. Mit der Zeit entwickelt sich jedoch eine immer klarere Klangvorstellung und ein lebendiges Klavierspiel ist die Folge.

Hier können Sie mehr darüber lesen!

Ohne Noten beginnen

Deshalb beginne ich im Anfangsunterricht immer ohne Noten! In den ersten Monaten (der Zeitraum ist sehr individuell) musiziert der Schüler nach Gehör und beginnt dann, bei Kindern oft mit Hilfe graphischer Notation, allmählich das Notensystem zu verstehen, bereits gespielte Lieder aufzuschreiben und selbst kleine Melodien und Stücke zu komponieren. Erst dann wird er Stücke aus Klavierschulen oder anderer Anfängerliteratur spielen. Sein Spiel wird nicht mechanisch klingen, sondern er hört auf Intervalle und Tonzwischenräume. Er hört, in welche Richtungen sich eine Melodie bewegt und erlebt und gestaltet Musik mit seinen Emotionen und Erfahrungen. Diese Herangehensweise führt u.a. dazu, dass er später auf dem Klavier „singen“ kann, wie es Horowitz, Chopin u.v.a. forderten und Sicherheit im Notenlesen gewinnt!

Diese Grundsätze des Anfangsunterrichts zeigen, wie wichtig ein guter Klavierunterricht gerade zu Beginn ist! Anfängliche Fehler lassen sich später leider nur schwer und mit großen Mühen beheben. Eine spielerische, audiomotorische Herangehensweise, die die Ideen der Schüler aufnimmt und weiterentwickelt, die Neugier und Kreativität weckt, ist für Kinder die Methode, mit der sie sehr viel lernen können.

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