Lehren und Lernen

Lehren bedeutet in seiner Ausgangsbedeutung aus dem Gotischen „wissend machen“ („laisjan“). Das Ziel jeden Unterrichts ist also, dass der Schüler etwas lernt, sich „Wissen aneignet“. Nur wie?

„Lehren heißt, ein Feuer entfachen, und nicht, einen leeren Eimer füllen.“

Heraklit

Wir erinnern uns sicherlich an Zeiten, in denen wir gelangweilt in der Schule saßen und die Worte des Lehrers an uns vorbeirauschten. Frontalunterricht war die Methode, den Schülern so viel Wissen wie möglich einzutrichtern. Der verdutzte Lehrer stellte allerdings nicht selten mit Betrübnis fest, dass von seinem Redeschwall nichts bis wenig hängen geblieben war. Der zu Passivität gezwungene Schüler hatte spätestens nach ein paar Minuten abgeschaltet und sich mit seiner Konzentration ins Land der Träume begeben.

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Forschungsergebnisse zeigen heute, dass Lernen ein hochkomplexer Vorgang ist. Unter den unterschiedlichen lernpsychologischen Ansätzen ist vor allem der sog. Konstruktivismus interessant. Zugespitzt formuliert definiert er Lernen immer als Ergebnis subjektiver kognitiver und sozialer Konstruktionsprozesse. Demnach wird neues Wissen mit Hilfe von bereits Bekanntem und im Austausch mit anderen Individuen rekonstruiert bzw. konstruiert. Anschließend wird es in den Kontext des Vorwissens eingebunden, das dadurch verändert wird.

Methodik der Vielfalt

Wissen muss also vom Lernenden aktiv erworben werden! Ein moderner und erfolgreicher Klavierunterricht entwickelt eine Methodik der Vielfalt, um an die sehr unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen und Fähigkeiten der Schüler anknüpfen zu können. Neue Lerninhalte sollten aus vielen unterschiedlichen Sichten präsentiert werden! Sie geben dem Schüler die Möglichkeit, die für ihn am besten geeigneten Methoden auszuwählen und einen Lerninhalt selbsttätig aus vielen Perspektiven zu erforschen. Der Ansatz ist dabei unbedingt induktiv, d.h. „vom Konkreten zum Abstrakten“, wie es Margit Varró in ihrem Buch “Der lebendige Klavierunterricht” fordert. Das bedeutet, dass ein Lerninhalt immer erst auditiv eingeführt wird. Aus dem subjektiven Erleben des Schülers heraus werden dann Begrifflichkeiten und allgemeine Regeln formuliert.

Ein guter Unterricht bietet dem Schüler die Möglichkeit zu experimentieren, zu entdecken, eigene Ideen zu entwickeln, aus Fehlern zu lernen. Als Lehrer hat man einen großen Topf an didaktischen und methodischen Möglichkeiten, an Tipps und Tricks zur Verfügung. Aus ihm wählt er in einer Balance zwischen eigenen Vorstellungen und einer genauen Beobachtung des Schülers aus.

„Möge die Macht mit dir sein“

Hilf mir, es selbst zu tun, war das Motto von Maria Montessori, der berühmten italienischen Pädagogin. Und so sollte ein Klavierlehrer seinem Schüler nichts „vorkauen“, was dieser selbst herausfinden könnte! Stattdessen gibt er die Impulse, die dazu nötig sind. Der Schüler sollte sich z.B. selbst Gedanken machen über eine Interpretation, verschiedene Versionen einer Stelle spielen, überlegen, was er selbst denn mit dieser Stelle verbindet, welchen Charakter und welche Emotionen er ihr verleihen möchte. Er sollte darüber nachdenken, in welchem Kontext einer musikalischen Entwicklung diese Stelle steht, welche Möglichkeiten einer Deutung/Interpretation der Notentext bietet und welche nicht, wie er phrasieren möchte, mit welchen dynamischen Schattierungen er welche Entwicklung gestalten will u.v.a.m.. Dazu muss der Lehrer sich einerseits zurücknehmen und dem Schüler viel Raum geben, andererseits aber auch durch die genaue Beobachtung, Interaktion und intensive Zusammenarbeit entscheidende und wichtige Impulse geben.

Herauskommen wird nicht ein Abklatsch des Lehrers, sondern ein Schüler, dessen Spiel ganz persönlich ist und der besticht mit einer eigenen musikalischen Aussage.

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