Klavier üben - Grundsätze, Schweinehund„Klavier üben – keine Lust!“, „Och nee – heute nicht!“ ….  –  alle Eltern kennen solche Sprüche und auch wir müssen uns immer wieder mit unserem inneren Schweinehund herumschlagen, der doch viel lieber gemütlich auf der Couch liegen würde.

„Wäre ich ein Diktator, würde ich den Ausdruck ‚üben‘ aus dem Wortschatz streichen, da er für Kinder zu einem Schreckgespenst, einem Alptraum wird. Ich würde sie fragen: ‚Hast du heute schon Musik gemacht? Wenn nicht – geh und mach Musik!‘“

Artur Schnabel

Klavier üben macht nur Spaß, wenn wir dabei Erfolg haben! Wenn wir Herr der Lage sind und die Aufgaben, die wir uns stellen, nicht zu schwer, aber auch nicht zu leicht sind. Wenn wir unsere Vorstellungen umsetzen können und in der Lage sind, uns zu helfen. Und wenn wir das musikalische, emotionale und sinnliche Erleben genießen und uns freuen, dass das eigene Klavierspiel durch das Üben sofort ein bisschen besser klingt.

„Wir werden mit Kräften geboren, die fast zu allem fähig sind, aber nur die Übung derselben gibt uns für irgendetwas Gewandheit und Geschick und führt uns zur Vollkommenheit.“

John Locke, engl. Philosoph und Politiker

Das ist manchmal gar nicht so einfach! Üben will geübt und gelernt sein! Ich lade Sie herzlich ein, in diesem und den weiteren Beiträgen

zu stöbern und viel Wissenswertes über uns, unser Lernverhalten und ein sinnvolles, erfüllendes und beglückendes Üben zu erfahren! Welche Übetipps Sie als für sich wertvoll erachten, ist individuell sehr verschieden, so wie Üben selbst auch immer individuell ist. An wenigen Schräubchen zu drehen kann eine Menge bewirken! Lassen Sie sich Zeit und experimentieren Sie. Dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß und Erfolg!

Die Übetipps aller fünf Beiträge können Sie in Kurzform als PDF herunterladen!

1.1 Wie wir üben, so spielen wir

Zeige mir, wie du spielst, und ich sage dir, wie du übst!

Zu üben bedeutet zu musizieren und wir können nicht üben, ohne zu spielen und spielen, ohne zu üben. Alles, was wir am Klavier tun, beeinflusst unser Spiel – die Herangehensweise an ein Stück steht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem zumindest vorläufigen Endergebnis.

Denken wir:„Ach, erst mal muss ich die Noten in die Finger kriegen und am Schluss kümmere ich mich um die musikalische Gestaltung!“, wird unser Spiel genauso klingen! Wir haben dann die meiste Zeit damit verbracht, das Stück ohne musikalische Gestaltung zu spielen und uns in dieser Zeit schlechte Klänge und falsche Technik angewöhnt. Das am Schluss zu ändern, ist unmöglich!

Effektiver, zeitsparender und viel erfüllender ist es, das Üben als wunderbare Entdeckungsreise in die Welt der Klänge und Musik zu begreifen und von Anfang an mit wachen Ohren und Forschergeist das musikalische Terrain zu erkunden. Klavier üben ist ein Abenteuer, bei dem wir musikalische Elemente und Strukturen aus vielen verschiedenen Hörperspektiven erleben, eine differenzierte Klangvorstellung entwickeln und uns dabei in unseren musikalischen und technischen Fähigkeiten immer weiter verbessern. Das macht Üben sehr lebendig, kreativ und spannend! Mehr dazu im Beitrag “Ein neues Klavierstück: üben – hören – entdecken“.

 1.2 Variantenreich Klavier üben

Beim Üben wollen wir unsere musikalischen und technischen Fähigkeiten ausbauen. Das tun wir, indem wir vielfältig Klavier üben. So können wir verschiedene Herangehensweisen an Musik in unser Üben integrieren wie

  • ein Stück erarbeiten
  • Gehörbildung/Harmonielehre
  • Blattspiel
  • Improvisation
  • Komposition
  • Rhythmusschulung
  • Liedbegleitung
  • Transponieren
  • Repertoirepflege
  • Kammermusik
  • Musik hören, dabei Noten mitlesen
  • technische Übungen und Etüden spielen,

die das Gehör und unsere Sensomotorik schulen und die Basis für ein weitreichendes Musikverständnis schaffen.

Dieses Musikverständnis und ein feines Gehör sind wesentliche Voraussetzungen, um ein Stück überzeugend und persönlich  interpretieren zu können. Denn Üben ist vor allem Arbeit am Klang! Wie sollten wir am Klang arbeiten können ohne ein geschultes Ohr und eine sich immer verfeinernde Klangvorstellung!

Außerdem ermöglichen die verschiedenen Herangehensweisen ein sehr abwechslungsreiches Üben, das viel Raum für die persönlichen Bedürfnisse lässt. Wir fühlen uns nicht jeden Tag gleich und unsere Sicht auf Musik und das, was wir üben und spielen wollen, verändert sich.

1.3 Klavier üben heißt auch „Sich-selbst-Üben“

Wenn wir Klavier üben, arbeiten wir nicht nur am Stück oder anderen musikalischen Elementen, sondern auch an unseren Fähigkeiten: wir sind Schüler und Lehrer in einer Person. Wenn wir ungeduldig sind, lernen wir, uns in Geduld zu üben – wenn wir uns zu viel aufhalsen, lernen wir, dass kleinere Schritte viel effektiver sind. Wir lernen unsere Stärken und Schwächen kennen und richten unser Üben darauf aus.

Üben ist also auch ein „Sich-selbst-üben“! Mit Ohr, Hand, Auge, Herz und Hirn setzen wir beim Üben all unsere Sinne ein und reflektieren unsere Wahrnehmungen und Ideen. Die musikalische und technische Entwicklung geht einher mit der Entwicklung der Persönlichkeit.

Üben wird so zu einem spannenden, lustvollen, erfüllenden, aber auch herausfordernden Prozess, der basierend auf Selbstwahrnehmung, Selbstkritik und der Bereitschaft zur Selbstveränderung unsere musikalischen und technischen Fähigkeiten verbessert und zur Erfüllung unserer individuellen Wünsche führt.

1.4 Ein Ziel setzen

„Der Langsamste, der sein Ziel nur nicht aus den Augen verliert, geht immer noch
geschwinder als der, der ohne Ziel herumirrt.“

G. E. Lessing

Es hilft sehr, sich konkrete Ziele beim Üben zu setzen! Diese können sehr verschieden und sehr vielfältig sein, wie wir in Punkt 1.2 „Variantenreich Klavier üben“ erfahren haben. Wir können sie sogar schriftlich formulieren. Auch bei der Erarbeitung eines Stücks sind Ziele sehr unterschiedlich: wir beschäftigen uns erstmalig mit einem Stück, wollen technische Probleme knacken, die musikalische Gestaltung verfeinern, Stellen herausgreifen, das Durchspielen üben, mit dem Stück etwas Bestimmtes erreichen u.v.a.m. Unsere Ziele können weitreichend oder kurzfristig sein – im letzteren Fall sollten sie leicht erreichbar gestaltet werden, damit der Erfolg nicht auf sich warten lässt!

Eine klare Zielvorstellung von dem, was wir erreichen möchten, bewirkt eine zielgerichtete und strukturierte Übeweise, bei der wir den Erfolg unserer Übestrategien sofort überprüfen können. Haben wir unser Ziel erreicht oder nicht? Was können wir tun, damit wir es erreichen? Müssen wir vielleicht das Ziel ändern? Unsere Wahrnehmung und das Bewusstsein für das, was wir spielen, wird geschärft und wir üben effektiver.

1.5 Das Üben üben

Um so Klavier üben zu können, dass wir unsere Ziele auf möglichst sinnvolle und effektive Weise erreichen, müssen wir lustigerweise das Üben üben. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Wer kennt es nicht: „Ich übe und übe, aber es wird nicht besser!“, „Die Stelle schaffe ich nie!“, „Ist das schwer!“, „Dauernd mache ich Fehler!“…. . Die Folge sind oft Frustration, Resignation und Selbstzweifel. Daher brauchen wir eine Art Handwerkszeug, das uns ermöglicht, Lösungen zu finden, unsere Kompetenzen und Stärken einzusetzen und Lernprozesse verstehen zu lernen, um so auf vielfältige und kreative Weise unsere musikalischen und technischen Fähigkeiten immer weiter auszubauen.

Dieses Handwerkszeug beinhaltet einen großen Topf voller Methoden, die das Üben erleichtern und bei Schwierigkeiten helfen. Sie bauen auf dem Wissen auf, wie wir lernen und welche Fähigkeiten wir zum Klavierspielen benötigen. Wer diese Methoden kennt und beherzigt, hat mehr Erfolg und logischerweise auch mehr Spaß beim Üben!

Diese Übestrategien lernen wir im Unterricht kennen! Ein Teil des Unterrichts sollte deshalb darin bestehen, mit dem Schüler zu üben, damit er erfährt, wie wunderschön und erfolgreich kluges und kreatives Üben ist! Der Lehrer fungiert dabei als Coach, der seine Schüler ermuntert, eigene Lösungen zu finden und sich auf die Suche nach einem spannenden und lebendigen Übeprozess zu machen. Auf ganz praktische Weise bekommen die Schüler so Erkenntnisse über sich selbst und ihr Lernverhalten vermittelt und können das Handwerkszeug, das sie sich dabei erarbeiten, immer selbständiger und freier einsetzen. Der sich sofort einstellende Erfolg motiviert sie, an sich und ihrem Üben immer weiter zu arbeiten. Dann heißt es tatsächlich: Klavier üben macht Spaß!

Wie geht es denn nun, das kluge und kreative Üben? Was sind es für Erkenntnisse, die basierend auf unserem Lernverhalten zu einem erfüllten und erfolgreichen Üben führen?

1.6 Alles, was wir oft tun, wird gespeichert – spielen wir oft falsch, wird genau das gespeichert

Unser Hirn unterscheidet nicht zwischen richtig und falsch. Es speichert das, was wir ständig wiederholen. Wer mit Fehlern übt, lernt, mit Fehlern zu spielen. Deshalb ist es sehr sinnvoll, erst gar nicht mit Fehlern zu üben!

1.7 Fehler sind Chancen auf Weiterentwicklung und Verbesserung, wenn sie zu einer Änderung der Übestrategie führen

Fehler sind trotzdem begrüßenswert und wichtig! Sie zeigen uns, was wir noch nicht können – nur so können wir etwas ändern und verbessern. Wir sollten sie allerdings möglichst nur einmal machen!

1.8 Wer durch sein Üben nicht eine sofortige, wenn auch nur kleine Verbesserung erfährt, übt falsch

Wer eine Übestrategie ausprobiert hat, die nichts zum Besseren verändert, muss seine Übestrategie ändern! Viele ändern nichts, weil sie denken „Das kann doch nicht so schwer sein“, „Irgendwann muss es doch klappen“. Sie üben auf die gleiche Weise weiter, speichern das fehlerhafte Spiel immer mehr ab und die Chance auf Verbesserung wird immer geringer.

1.9 Beim Üben Raum lassen für die auditive und körperliche Wahrnehmung

Zuhören

Uns beim Üben zuzuhören, ist die wichtigste Vorbedingung für gutes Klavierspiel, denn das aus unseren Bewegungen resultierende Klangbild können wir ja nur mit dem Ohr wahrnehmen. Unsere Klangvorstellung und die Wahrnehmung der gespielten Klänge steuern die Motorik, die bei der Arbeit am Klang immer weiter verfeinert wird. Wir hören den momentanen Klang, setzen ihn in Bezug zu unserem inneren Hören und entscheiden, ob wir noch weiter daran arbeiten wollen.

Wenn wir uns zuviel auf einmal vornehmen und manuell so sehr gefordert sind, dass wir unsere gesamte Aufmerksamkeit der technischen Umsetzung widmen müssen, können wir uns nicht zuhören und nehmen nicht wahr, was und wie wir spielen. Wir sollten unser Üben also so strukturieren, dass wir noch Raum haben für die auditive Wahrnehmung. Mehr dazu in „Üben – wie kann ich es mir leichter machen “ (Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit).

So gespannt wie nötig, so entspannt wie möglich

Ebenso wichtig ist eine gute Wahrnehmung unseres Körpers beim Üben! Fehler und Klänge, die nicht unserer Klangvorstellung entsprechen, resultieren oft aus Verkrampfungen, Blockaden und falschen Bewegungen. Gelöstheit und Durchlässigkeit des Körpers verbunden mit einem ruhigen und fließenden Atem ist eine wichtige Voraussetzung für eine gute Klaviertechnik. Die Durchlässigkeit aller Sinneskanäle ist Hauptvoraussetzung für ein optimales sensorisches Feedback. Kurz gesagt: die Qualität unserer Wahrnehmung bestimmt die Klangqualität!

Beim Üben darauf zu achten, ist nicht nur aus pianistischer Sicht notwendig, sondern schafft auch ein sehr angenehmes Körpergefühl und eine angenehme Atmosphäre.

1.10 Wiederholungen

Sicherheit

Schüler erleben im Unterricht, dass neu zu lernende Dinge durch Wiederholung sicherer, leichter und im Gehirn abgespeichert werden. Unser Gehirn ist täglich vielen Millionen Sinneseindrücken ausgesetzt und speichert nur, was unsere besondere Aufmerksamkeit hat, mit starken Emotionen behaftet ist oder vermehrt auftaucht/wiederholt wird.

Spielen wir z.B. eine uns herausfordernde Stelle nur einmal, bleibt sie unsicher, wiederholen wir sie mehrmals, klingt sie immer besser und braucht immer weniger unsere besondere Aufmerksamkeit – wir können uns anderen Dingen zuwenden. Durch Wiederholung automatisieren wir Bewegungsabläufe, verfeinern unsere Klangvorstellung und verbessern unser Spiel. Der schnelle Lernerfolg motiviert uns, diese Übetechnik anzuwenden.

Wie oft wiederholen?

Spielen wir dann immer besser, je mehr wir wiederholen? Ist es besser, etwas 50 Mal zu wiederholen als 3 Mal?

Wenn wir etwas sehr oft in gleicher Weise wiederholen, werden wir müde und unkonzentriert. Unsere Aufmerksamkeit erlahmt und wir spielen nur noch mechanisch, ohne wirklich hinzuhören. Die Folge sind klangliche Fehler und Verspieler, die wir gar nicht mehr wahrnehmen, die aber trotzdem gespeichert werden. Solch ein Üben ist NICHT sinnvoll!

Aufmerksamkeit erhalten durch abwechslungsreiches Üben

Die Aufmerksamkeit auf den Klang ist wichtig, um überhaupt effektiv und sinnvoll Klavier üben zu können! Zudem sind wir ja glücklicherweise keine Maschinen, die jede Wiederholung haargenau gleich spielen. Musizieren ist immer etwas Spontanes und wird aus dem momentanen Klangerlebnis heraus gestaltet, was zu unterschiedlichen Klangverläufen führt, uns zum Experimentieren und Probieren einlädt und dabei unsere Aufmerksamkeit benötigt.

Wie viele Wiederholungen nun sinnvoll sind, ist sehr unterschiedlich. Sie sind so lange produktiv, als wir sie noch aktiv und emotional erleben und in jeder neuen Wiederholung etwas Neues gegenüber der vorherigen Wiederholung wahrnehmen. Diese Erlebnisqualität geht aber oft schon beim 4. oder 5. Mal verloren und spätestens dann sollten wir reagieren.

Wir können z.B. noch ein einziges Mal die betreffende Stelle nach unserer Vorstellung spielen und dann aufhören, wir können  den Punkt unserer Aufmerksamkeit wechseln und uns in der Ausführung auf verschiedene musikalische Aspekte (Rhythmus, Dynamik, Artikulation, Phrasierung….) konzentrieren, wir können Teile transponieren, variieren, mit Teilen improvisieren, wir können Dynamik und Artikulation verändern ….  . Unser Bestreben ist dabei, möglichst abwechslungsreich zu üben und so Geist, Gefühl, Aufmerksamkeit und auch Muskulatur wach und frisch zu halten. Der Lehrer erarbeitet im Unterricht immer wieder Möglichkeiten und Wege mit dem Schüler, wie dies gelingen kann.

1.11 Immer wieder aufbauend Klavier üben

Angenommen wir haben an einem Tag unser Üben wunderbar strukturiert, unsere Ziele vollends erreicht und starten total motiviert in den nächsten Tag. Was kann uns dann passieren?

Wir tappen in die Falle und fangen da an, wo wir am vorherigen Tag aufgehört haben. Wir denken:„Es hat doch so toll geklappt gestern – das kann ich jetzt!“ und wundern uns, dass es heute nicht so klingt wie am Ende unseres Übens einen Tag zuvor.

Wir haben vergessen, dass es so toll geklappt hat, WEIL wir vorher kleinschrittig und strukturiert gearbeitet haben! Wir brauchen Zeit und Wiederholungen, bis das Gelernte langfristig gespeichert und automatisiert ist.

Das heißt, dass wir einige Zeit die aufbauenden Schritte immer wieder üben. Wie oft und wie viel ist individuell unterschiedlich und hängt von den persönlichen Fähigkeiten ab.

1.12 Erst dann einen Schritt weiter gehen, wenn man den vorherigen beherrscht

„Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen!“,

sagte Anton Bruckner. Auch beim Üben fügen wir einen Baustein nach dem anderen zusammen und sorgen dafür, dass sie eine stabile Qualität haben und nicht brüchig sind. Wir strukturieren unser Ziel in kleinere Einheiten und können erst dann den nächsten Schritt gehen, wenn wir den vorherigen getan haben und beherrschen. Die solide Basis, die dadurch entsteht, führt dazu, dass wir mit dem musikalischen Material in unserer Interpretation frei und sicher umgehen können!

1.13 Am Tag nach dem Unterricht Klavier üben

Im Unterricht bekommen wir Impulse, die uns beflügeln, vorwärts bringen, unterstützen. Wir erleichtern uns die Umsetzung in der folgenden Zeit enorm, wenn wir am Tag nach dem Klavierunterricht üben! Dann haben wir noch alles im Gedächtnis und können direkt an die Inhalte anknüpfen. Es ist sehr  viel anstrengender, erst später mit dem Üben zu beginnen: wir müssen uns erst einmal erinnern, wissen nicht mehr, wie genau dieses und jenes funktionierte, ärgern uns, dass es im Unterricht doch viel besser geklappt hat, einfacher war u.v.a.m.

Diesen Ärger können wir uns ersparen!

1.14 Gelassenheit und Zuversicht

Es ist beeindruckend, mit welcher Geduld, Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit kleine Kinder ihre Ziele verfolgen. Stundenlang können sie kleine Holzzylinder in entsprechende Öffnungen setzen, puzzeln, Lego bauen, … . Sie haben sich das Laufen und Sprechen in unglaublicher Ausdauer selbst beigebracht und zeigen dabei eine enorme Zuversicht.

Davon können besonders wir Erwachsene viel lernen. Gerade Erwachsene setzen sich bisweilen beim Üben unter Druck und verzweifeln an ihren eigenen Ansprüchen. In ihrem Alltag sind sie Menschen, die erfolgreich sind, die sozial und beruflich im Leben stehen und nun soll die blöde Stelle nicht klappen?

Sie sehen in solchen Momenten vor allem auf das Ziel. Das Ziel, das Stück zu können, auch hier erfolgreich zu sein, auch hier eine gute Leistung abzuliefern. Gleichzeitig sind sie im Urteil über diese Leistung manchmal sehr erbarmungslos und ungeduldig mit sich selbst.

Der Weg ist das Ziel

Das ist ganz das Gegenteil des unerschütterlichen Optimismus eines Kleinkindes, das immer wieder einen Schritt nach vorn macht, um laufen zu lernen und sich von Fehlversuchen nicht sonderlich beeindrucken lässt. Und dieses Gegenteil behindert uns, lässt uns verkrampfen und unser Ziel eines lebendigen und freien Klavierspiels eben nicht erreichen. Wir überspringen in unserer Ungeduld die zum Erfolg nötigen Schritte und schreiben den ausbleibenden Erfolg auch noch unseren angeblich mangelnden Fähigkeiten zu!

Statt dessen sollten wir im Hier und Jetzt leben, beim Klavierspielen nicht an das Ziel denken, sondern unsere Aufmerksamkeit auf die Klänge richten, die wir hören! Die Befriedigung sollte aus dem kommen, was wir gerade tun. Dem „das lerne ich nie“, „was stelle ich mich so blöd an“ setzen wir lieber ein „ich nehme es so, wie es ist“, „ich brauche noch etwas Zeit“, „irgendwann werde ich es können“ entgegen! Mit sich geduldig, achtsam und humorvoll umzugehen ohne sich ständig zu bewerten oder zu kritisieren schafft ein Klima, in dem frei und offen musiziert werden kann. In dem die Aufmerksamkeit auf dem Hören und Fühlen liegt und nicht auf der vorrangigen Bewertung der eigenen Leistung. Fast nebenbei erreichen wir dann das, was wir erreichen wollen.

1.15 Mit Freude Klavier üben

Hand in Hand mit Geduld und Gelassenheit geht die Einstellung, mit Freude zu üben. Wenn wir unsere Zeit am Klavier spannend und lebendig gestalten, mit wachem Geist und Genuss spielen, werden wir gute Ergebnisse erzielen und fühlen uns froh und optimististisch. In solch einer Grundhaltung gelingt unser Üben viel besser, als wenn wir besorgt und ängstlich sind. Ein häufiges Beispiel dafür ist der Ausdruck „Stolperstellen“. Dieses Wort trägt das Stolpern schon in sich und das bereits Vorhergesehene tritt leider unausweichlich ein. Viel besser ist es, diesen Ausdruck gänzlich aus seinem Vokabular zu streichen, sich zuzutrauen, diese Stelle hinzukriegen und die entsprechenden Übestrategien zu wählen. Dann führt der erfolgreiche Prozess des Verwandelns zu Glück und Zufriedenheit.

Natürlich haben wir nicht immer Lust, Klavier zu üben und gerade der Einstieg und Beginn fällt manchmal schwer. Das physikalische Gesetz der Trägheit lässt uns gern in einem Zustand verharren und wir müssen uns bei einer Bewegungsänderung anstrengen. Ein Flugzeug verbraucht auch die meiste Energie beim Start – hat es die gewünschte Flughöhe erreicht, ist der Energieverbrauch wesentlich geringer.

Genauso ist es beim Üben! Wenn wir mal keine Lust haben, wissen wir, dass wir Lust bekommen, wenn wir unsere Trägheit, sich überhaupt ans Klavier zu setzen, überwinden!

1.16 Mit etwas Leichtem anfangen

Zum Einstieg ist es oft angenehm, mit etwas Leichtem oder einem Ritual anzufangen. Manche beginnen gern mit Repertoirestücken, manche mit technischen Übungen, manche mit Improvisation, Gehörbildung u.v.a.m. Einige brauchen Flexibilität und möchten damit beginnen, worauf sie gerade Lust haben. Unsere Bedürfnisse sind individuell sehr verschieden und wir sollten sie kennen.

So kann der Einstieg ins Üben erleichtert werden. Wie im vorherigen Punkt erwähnt kostet es manchmal Energie, sich ans Klavier zu setzen. Sitzen wir einmal dran, finden wir es dort ganz gemütlich und es ist gut, das zu wissen!

1.17 Wie lange und wie oft üben?

Zur Beantwortung dieser Frage leuchtet ein, dass Üben wenig Spaß macht, wenn wir es selten tun. Dann nämlich vergessen wir das, was wir gelernt haben, immer wieder und müssen das Gleiche ständig neu lernen. Das ermüdet, ist wenig abwechslungs- und erfolgreich und macht keinen Spaß.

Regelmäßig musizieren

Regelmäßiges Üben und Musizieren hingegen macht Spaß: wir hören und sehen den Erfolg, wir haben Zeit, sehr abwechslungsreich und kreativ mit Musik umzugehen, Schwierigkeiten in kleine Häppchen zu zerlegen, die aufeinander aufbauen u.v.a.m.

Im Schlaf und in Pausen wird Geübtes gespeichert

Oft wird die Frage gestellt, ob man eine angenommene Wochenübezeit von drei Stunden mit gleichem Effekt auch auf einen Tag legen könne anstatt jeden Tag eine halbe Stunde zu üben. Schüler sind dann immer wieder überrascht und erfreut darüber, dass unser Gehirn quasi im Schlaf lernt. In der Nacht und in Pausen geschieht die Gedächtnisbildung und -konsolidierung – an dem Tag Gelerntes wird gespeichert und Synapsen verknüpfen sich. Wenn wir sieben Tage in der Woche Klavier üben bedeutet das, dass wir sieben Nächte das Gelernte im Schlaf verarbeiten und abspeichern, ohne uns dafür anstrengen zu müssen – der Effekt ist also ungleich größer als wenn wir einen Tag drei Stunden üben und nur eine Nacht zur Speicherung haben.

Deshalb üben wir klug, wenn wir Pausen während des Übens zu machen und vor dem Schlafengehen noch einmal besonders schwierige oder komplexe Stellen wiederholen, die am Tag bereits geübt wurden. So wird die Speicherung noch verstärkt und mit wenig Input/Einsatz viel Output/Leistung erreicht. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist ebenfalls bestens, wenn wir schwierige Stellen während einer Übeeinheit immer wieder wiederholen, quasi als mehrfaches Appetithäppchen zwischendurch!

Klavier üben als Ritual

Wie man sein Üben in Länge und Häufigkeit strukturiert, ist sehr individuell und unterschiedlich. Bei Kindern ist Regelmäßigkeit (möglichst täglich) sehr wichtig, um das Üben als Ritual in den Alltag zu etablieren. Gewohnheitsmäßige Abläufe (Rituale) geschehen automatisch und ohne großes Nachdenken und kosten uns daher kaum Anstrengung. Dazu ist es hilfreich, immer die gleiche Zeit zu nehmen, z.B. immer vor dem Abendessen, nach der Schule, nach den Hausaufgaben o.ä. Die Länge des Übens hängt vom Alter und der Begeisterung des Kindes ab. Wenn Klavier üben als Musizieren, als ein spielerisches Erforschen der faszinierenden Welt der Musik erfahren wird, wird das Kind nicht nur fünf Minuten am Klavier sitzen. Dazu ist wichtig, dass KlavierlehrerInnen mit dem Kind in der Stunde üben und Übeschritte auch aufschreiben. So weiß es genau, was es zu Hause tun kann.

Erwachsene haben oft einen vollen Terminplan und nicht immer Zeit zum Klavier üben. Wie sie ihr Hobby in den Alltag integrieren, ist sehr, sehr unterschiedlich. Es gibt Erwachsene, die zeitweise viel zum Klavierspielen kommen und dann wieder Phasen haben, in denen es kaum geht. Andere üben vier Mal pro Woche eine Stunde, wieder andere jeden Tag kurz. Auch hier ist klar, dass fortwährendes seltenes Üben nur sehr wenig bringt. Alles andere aber ist eine Frage der Prioritäten und Organisation, die dem Spaß und Erfolg beim Klavierspielen in keinster Weise entgegensteht und die mit einer klugen Unterrichtsgestaltung durch den Lehrer unterstützt wird!

Hier geht es nun weiter mit den anderen Beiträgen zu einem Üben mit Spaß und Erfolg:

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