Übetipps bei technischen Problemen

Was haben wir aus Verzweiflung schon alles getan, wenn eine Stelle partout nicht klappen wollte! Die Noten in die Ecke gepfeffert, die Haare gerauft, den Kopf zerbrochen, den Deckel zugeknallt, aufgegeben…… !

Das muss nicht sein!

Wir benötigen eine bestimmte Art Handwerkszeug, um Wege aus der vermeintlichen Sackgasse zu finden! Im folgenden stelle ich Ihnen eine kleine, aber feine Auswahl von Übetipps vor! Suchen Sie sich das raus, was Sie interessiert! Daneben lohnt es sich sehr, die Beiträge „Klaviertechnik 1 – Grundlagen“ und „Klaviertechnik 2 – Der Arm“ zu lesen!

Übersicht:

3.1 Checkliste nutzen

Wenn wir wissen, warum eine Stelle nicht so klingt, wie wir uns das vorstellen, haben wir viel gewonnen! Dann können wir uns Lösungen überlegen. Folgende Checkliste kann helfen:

a) Klang- und Bewegungsvorstellung überprüfen

„Hör’s an!“ – war der ultimative Tipp meiner geschätzten Professorin! Sich selbst zuzuhören und eine eigene Klangvorstellung zu entwickeln gehört zu den herausforderndsten Tätigkeiten beim Klavierspielen!

Auch bei technischen Schwierigkeiten können diese aus einer mangelnden Klangvorstellung resultieren. Wenn wir wissen, wie es klingen soll, führt uns unser Ohr und wir haben gute Chancen, die richtigen Bewegungen zu finden!

Im Unterricht bekommen wir eine Stelle oft besser hin, wenn der Lehrer uns die Stelle vorspielt. Wir hören zu und unsere Vorstellung des Klangs dieser Stelle wird konkreter, wir sehen seine Bewegungen und imitieren sie.

Wenn sich kein spielender Lehrer in Reichweite befindet und wir den Problemen selbst auf die Spur kommen wollen, können wir uns helfen, indem wir die Stelle

  • auseinandernehmen und stimmenweise (ggf. einzeln) mit allen Kombinationen im Tempo üben. Wir erleben auf diese Weise einzelne musikalische Elemente/Stimmen, ohne uns zu verspielen. Wir machen uns Klang- und Bewegungsabläufe noch einmal bewusst. Möglicherweise erkennen wir, wo das Problem eigentlich liegt.
  • langsam spielen und damit überprüfen, ob wir wirklich alle Details im Kopf, im Ohr und in den Fingern haben.
  • nach den eigenen Möglichkeiten singen – schiefe Töne egal –, uns innerlich den Klang vorstellen
  • Töne weglassen, Gerüst spielen

Diese und andere Übeschritte finden Sie in Ein neues Klavierstück: üben – hören – entdecken! Indem wir in kreativer und musikalischer Weise an ein Stück herangehen, können viele Probleme von vornherein vermieden werden!

b) Neue Fingersätze ausprobieren

Wenn eine Stelle nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen, kann dies auch an ungünstigen Fingersätzen liegen. Fingersätze im Nachhinein zu ändern, macht zunächst wahrlich keinen Spaß. Allerdings klappt ja nun die Stelle nicht! Unser Wunsch, die Nuss zu knacken, kann verbunden mit der Lust am Experimentieren dazu motivieren, sich doch auf die Suche zu machen!

Welche Fingersätze sinnvoll und hilfreich sind, ergibt sich zum einen aus der individuellen Disposition. Zum anderen stehen sie in direktem Zusammenhang mit dem erforderlichen Klang (Artikulation, Dynamik, Phrasierung, klangliche Umgebung, …) und der Koordination und Bewegung des gesamten Spielapparates. Der Fingersatz sollte so gewählt werden, dass der Arm fließende und zusammenfassende Bewegungen machen kann. Wir denken also nicht vom Finger, sondern vom Arm aus bei der Wahl der Fingersätze. Manchmal erkennen wir, dass unser technisches Problem in Wirklichkeit an einer mangelnden Armführung liegt, die durch einen günstigeren Fingersatz verbessert wird. Näheres zur Armführung weiter unten und an dieser Stelle!

Bei schnellen Passagen beider Hände sind oft symmetrische Fingersätze vorzuziehen. So wird auch der Standardfingersatz bei Tonleitern gern durch Fingersätze ersetzt, bei denen z.B. beide Daumen gleichzeitig spielen.

Die Frage des besten Fingersatzes ist ein weites Feld und kann an dieser Stelle nur kurz behandelt werden. Um gute Fingersätze zu finden, müssen wir uns also sowohl den Klang möglichst genau vorstellen als auch bereit sein, unseren Blick zu weiten auf die Koordination unseres gesamten Spielapparates. Dann können wir kreativ und phantasievoll mit verschiedenen Möglichkeiten experimentieren.

c) Sitz und Atmung überprüfen

Bei Schwierigkeiten neigen wir dazu, mit unserem Oberkörper nah ans Klavier zu rücken und den Kopf einzuziehen. Wir halten uns in unserer Unsicherheit quasi am Klavier fest!

Leider  führt dies dazu, dass wir in unserer Beweglichkeit sehr eingeschränkt sind. Der Oberkörper ist schräg und eingequetscht, die Arme können sich nicht mehr frei bewegen, der Kopf muss gegensteuern, die Muskeln sind angespannt. Folge: die Stelle klappt erst recht nicht.

Wenn wir unsicher sind, Angst vor einer Stelle oder Lampenfieber haben, sollten wir tief durchatmen und uns bewusst aufrichten bzw. zurücklehnen:

  • Füße spüren in ihrem Kontakt zum Boden – besonders den linken, denn der rechte tritt meistens das Pedal
  • Sitzknochen fühlen in ihrem Kontakt zur Stuhloberfläche
  • Kopf aufrichten ähnlich einer Baumkrone
  • Oberkörper ist stabil und flexibel
  • Arme bewegen sich frei und durchlässig
  • Zunge liegt locker oben am Gaumen, Unterkiefer ist entspannt
  • tief in den Bauch einatmen, ruhig ausatmen

Diesen stabilen Sitz beschreibe ich wie auch die nächsten Punkte in „Klaviertechnik 1 – Grundlagen“. Er vermittelt Sicherheit, Freiheit und ein angenehmes Körpergefühl. Dadurch kann sich das Problem bereits lösen.

Bei schweren Stellen hilft es außerdem, vor der Stelle tief einzuatmen und mit Beginn der Stelle auszuatmen!

d) Abstand bewahren

Wenn wir auf diese Weise Stabilität und Beweglichkeit erreicht haben, nehmen wir aus dieser „Distanz“ mit kühlem Kopf die Position eines Beobachters ein. Wir sind nicht mehr „mitten drin“, sondern bekommen im wahrsten Sinne des Wortes Abstand. Wir nehmen ruhig und gelassen die Rolle unseres eigenen Lehrers ein und setzen uns nicht unter Druck.

Wo könnte das Problem liegen? Gibt es irgendwo Ecken und Stockungen? Bin ich verkrampft und blockiere? Halte ich die Luft an …?

e) Auf Durchlässigkeit achten

Gefühle von Angst oder Unsicherheit führen oft zu Verkrampfungen. Neben einem stabilen Sitz hilft es zur Lösung technischer Probleme, in sich hineinzuhorchen und zu überprüfen, wo sich etwas nicht gelöst und durchlässig anfühlt. Durchlässigkeit meint die freie Beweglichkeit aller Gelenke und fühlt sich an wie ein Energiestrom, der ausgelöst von unserer Klangvorstellung ohne Blockaden oder „Staumauern“ vom Körperzentrum aus über Rücken, Schultern, Arme, Hände, Finger in die Tasten fließt.

Dazu ist es hilfreich, beim Spielen die Augen zu schließen (s.u. „Blind“ üben).

f) Hand und Arm leicht machen

Ein häufiger Grund für technische Probleme liegt in der mangelnden blitzschnellen Entspannung. Klavierspielen funktioniert über Impulse und Schwünge! Nicht Kraft und Anstrengung, sondern Leichtigkeit und Fluss bestimmen unser Spiel!

Wenn wir beispielsweise mit unserem Arm einen Schwung geben, haben wir die Arbeit für den Moment erledigt und können Hand und Arm ganz leicht machen. Ähnlich einer Bowlingkugel, die wir nach dem Wurf loslassen und der wir gemütlich zusehen, wie sie hoffentlich alle Pins umwirft. Beim Wurf einer Bowlingkugel kommt es auf den Schwung an, nicht auf die Kraft und genauso ist es auch beim Klavierspielen. Näheres lesen Sie in den Beiträgen über die Klaviertechnik.

Zu all diesen Punkten können Sie auch die in meiner Studienzeit von Klavierprofessoren empfohlene Pflichtlektüre „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ von Eugen Herrigel lesen!

Dazu kommt, dass wir nach dem Anschlag einen gespielten Ton nicht mehr beeinflussen können. Ganz im Gegensatz zu Sängern, Streichern, Bläsern. Wir müssen also die Taste ohne Druck nur noch gerade unten halten. Erfreulicherweise geht sie stets ganz von allein hoch und arbeitet mit uns zusammen wie ein Trampolin oder eine dicke weiche Matratze. Versuchen Sie, ihren Auftrieb zu spüren! Empfehlenswert sind dazu die Klavierübungen von Peter Feuchtwanger.

Aus alldem ergibt sich die Anforderung, nach dem Anschlag Hand und Arm so leicht wie möglich zu machen. Sehr oft verhaken wir uns und machen alles sehr schwer.

Und dann haben wir den Salat: versuchen Sie mal, einen 100m-Lauf mit 50 kg auf dem Rücken zu machen. Schwere behindert und schnell ist was anderes!

Leicht machen ist die Devise!

g) Arm einsetzen mit fließenden Bewegungen

Beim Klavierspielen nutzen wir Impulse von Körper, Arm, Hand und Fingern, die mit fließenden Bewegungen auf die Taste übertragen werden.

Wenn wir technische Probleme haben, sind unsere Bewegungen oft eckig statt rund, stockend und abgehackt statt weich und geschmeidig. Unsere Bewegungen stehen in direkter Beziehung zum Klang und so werden Bewegungsblockaden klangliche Blockaden und Härten zur Folge haben.

Das stört uns und wir wollen dieses Problem beheben. Dazu sollten wir unsere Aufmerksamkeit auch auf unsere Armführung lenken.

Manchmal ist unser Arm faul und hängt wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Dann wird er nicht frei und leicht aus dem Rücken getragen, sondern hemmt mit seiner Schwere alle beteiligten Glieder. Wir kommen nicht vom Fleck!

Dabei sollte er Hand und Finger mit Hilfe von Ellipsen, Kreisen und Drehungen zu den Tasten bringen, viele kleine Bewegungen unter einer Bewegung zusammenfassen und notwendige Impulse geben.

Also sollten wir darauf achten, ob unser Arm an der Klangerzeugung beteiligt ist, welche Armbewegungen nötig sind und ob sie fließend, gelöst und leicht sind.

h) Position von Hand und Arm überprüfen

Die Ursache für Schwierigkeiten bei der klanglichen und technischen Bewältigung einer Stelle kann auch an einer ungünstigen Position von Hand und Arm liegen!

Dann haben es die Finger schwer, weil sie ungünstig zur Taste stehen und zum Beispiel ganz schräg spielen müssen. Außerdem kann der Arm nicht frei agieren.

Es kann auch sein, dass wir, um eine problematische Stelle in einer fließenden zusammenfassenden Armbewegung spielen zu können, eine spezielle Ausgangsposition von Arm und Hand einnehmen müssen. Ein Beispiel dafür sind arpeggierte Akkorde.

Es lohnt sich, jeweils den Anfang und das Ende einer problematischen Stelle zu betrachten. Welche Startposition müssen Hand und Arm einnehmen, damit die Stelle funktioniert. Welche Endposition wird erreicht? Es ist oft hilfreich, das Problem von hinten anzugehen und vom Endpunkt aus “rückwärts additiv” zu üben. Also immer einen Schritt von weiter vorn hinzuzunehmen!

Haben wir das Kernproblem gelöst, bauen wir diese Positionen mit Hilfe des Arms in eine fließende Bewegung ein. Also hin zur Stelle und weg von der Stelle. Auf diese Weise entsteht ein fließender Bewegungsablauf.

i) Klang nur noch aufrecht erhalten

Meine Professorin sagte einmal zu mir, während ich mit irgendeiner virtuosen fortissimo-Stelle abmühte: „Was strengst du dich so an? Du hast doch den Klang!“

Durch dieses Aha-Erlebnis habe ich gelernt, dass man den Klang während solch einer Stelle nicht immer neu produzieren, sondern nur aufrechterhalten muss. Ich hatte mich viel zu viel und immer wieder neu angestrengt. Dabei musste ich nur lernen, mir zuzuhören und die Energie, die ich ja bereits erzeugt hatte, aufrechtzuerhalten.

Ähnlich ist es übrigens bei leisen Albertibässen und arpeggierten Begleitungen bei den Nocturnes von Chopin. Oft ist der Klangraum bereits durch die ersten Töne geschaffen und wir müssen den Klang nur noch aufrecht erhalten wie bei einer Vibration oder Schwingung. Wir hören also nur noch auf den Klangteppich und keinesfalls auf einzelne Töne.

3.2 Von Anfang an so üben, dass Fehler sich gar nicht erst verfestigen

Dieser Punkt ist ungeheuer wichtig! Denn oft üben wir ungünstig und fordern damit technische Probleme geradezu heraus. Wir spielen immer wieder die gleichen Fehler und wundern uns dann, dass sie bleiben.

Beherzigen wir jedoch Grundsätze des Übens, werden wir viel mehr Spaß und Erfolg haben und in vielen Bereichen erst gar keine Probleme bekommen!

3.3 Schwierige Stellen leichter machen

Technische Probleme entstehen manchmal bei komplexen Stellen, die verschiedene technische Aspekte beinhalten. Es ist sehr hilfreich, kreativ verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren, die das Kernproblem aus dem Wirrwarr herausfiltern. Das geschieht oft durch Reduktion und Erleichterung. Weniger ist mehr!

Wie Sie das tun können, erfahren Sie hier!

3.4 Schnelle Passagen und Läufe

Ratlos stehen wir manchmal vor schnellen Passagen und wissen nicht, wie wir sie so perlend und glitzernd spielen können, wie wir uns das vorstellen.

Wir üben langsam und versuchen, das Tempo allmählich zu steigern, aber es hilft nicht. Das liegt zum einen daran, dass wir für das schnelle Tempo andere Bewegungen brauchen als für das langsame. Bei schnellen Passsagen benötigen wir zusammengesetzte und übergeordnete Bewegungen.

Zum anderen können wir uns den Klang der schnellen Passagen nicht vorstellen, wenn wir immer langsam üben. Was wir uns nicht vorstellen können, können wir leider auch nicht spielen.

Was tun?

a) Rhythmisieren

Nehmen wir eine Passage des berühmten Rondos „Alla Turca“ aus der Sonate A-Dur KV 331 von Wolfgang Amadeus Mozart.

Zunächst werden wir je nach den eigenen Fähigkeiten die Sechzehntel langsam spielen mit guter Armführung. Versuchen Sie, die Sechzehntel als Melodie, als Koloratur  zu empfinden, in ihren Intervallen und Richtungen zu hören und lebendig zu gestalten.

Um die Sechzehntel nun ins Tempo zu bringen, rhythmisieren wir ihre eigentlich gleichmäßige Abfolge mit Hilfe der unten angeführten Rhythmustabelle. Wir verwenden Rhythmen, bei denen wir zunächst nur zwei Noten schnell hintereinander spielen und dann warten/entspannen. Sukzessive erweitern wir diese kleinen schnellen Einheiten auf drei, vier und mehr Noten, bis wir die ganze Passage schnell spielen können.

Auf diese Weise lernen wir, uns sowohl die Klang- wie auch Bewegungsabfolge erst für kurze, dann immer längere schnelle Tonfolgen vorzustellen. Wir finden die dafür richtigen Bewegungen und merken, wie wichtig auch hier eine gute Armführung ist!

b) Rhythmustabelle

Bei der nun folgenden Rhythmustabelle sind die schnell hintereinander gespielten Noten gelb markiert:

1.

Übetipps bei technischen Problemen, Rhythmustabelle

Sie können bei diesen punktierten Rhythmen auch denken:„Lang – kurzLang – kurzLang …..“ (1. Takt), „kurzLang – kurzLang – kurzLang“ (2. Takt).

2.

Übetipps bei technischen Problemen, Rhythmustabelle

3.

Übetipps bei technischen Problemen, Rhythmustabelle

4.

Übetipps bei technischen Problemen, Rhythmustabelle

5.

Übetipps bei technischen Problemen, Rhythmustabelle

Der Trick besteht also darin, mit Hilfe verschiedener Rhythmen erst sehr wenige Noten im Tempo zu spielen und dann immer mehr hinzuzufügen, bis wir die endgültige Fassung erreicht haben!

Bei Nr. 1 werden nur zwei Noten im Tempo hintereinander gespielt, bei Nr. 2 drei Noten und bei Nr. 3 vier Noten. Nr. 4 und 5 beziehen sich auf Passagen, bei denen immer drei oder sechs Noten zu einer Einheit zusammengefasst sind (Triolen …).

c) Rhythmustabelle anwenden

Wenn Sie diese Rhythmustabelle anwenden, gehen Sie bitte folgendermaßen vor:

  • Voraussetzung ist, dass Sie die Passagen langsam und sicher mit guter Armführung und Phrasierung spielen können. Dann beginnen Sie mit dem 1. punktierten Rhythmus.
  • Sprechen und klatschen Sie vor dem Spielen den entsprechenden Rhythmus, so dass Sie ihn wirklich verinnerlichen.
  • Dann spielen Sie die erste Note und warten lange. Dabei machen Sie Hand und Arm so leicht wie möglich und stellen sich im Geiste bereits Klang und Bewegung der nächsten beiden Noten vor.
  • Diese spielen Sie dann schnell und leicht mit einer zusammenfassenden Armbewegung und warten wieder. Erneut entspannen Sie auf der langen Note so viel wie möglich und stellen sich die nächsten beiden Noten vor… .
  • Sie können sich über jeder langen Note, in dem Fall der punktierten Achtel, eine Fermate vorstellen. Sie spielen die lange Note also so lange, wie Sie brauchen, um leicht zu machen und sich die nächsten beiden Noten vorzustellen.
  • Auf diese Weise können Sie schon 2 Noten im Endtempo spielen, haben aber auf der langen Note genug Zeit, um sich die nächsten beiden Noten vorzustellen und für die so wichtige Entspannung zu sorgen. Gleichzeitig finden Sie die für das Endtempo nötigen Bewegungen.
  • Sie machen also auf der langen Note „Station“, als warteten Sie an einer Bushaltestelle. Deshalb heißt diese Vorgehensweise auch „Stationenübung“.
  • Entscheidend für den Erfolg ist das Leichtmachen von Hand und Arm auf der langen Note! Weiter oben habe ich die Wichtigkeit der blitzschnellen Entspannung betont! Wenn wir 2 Noten schnell hintereinander spielen, neigen wir dazu, zu verkrampfen. Hand und Arm bei der langen Note so leicht wie möglich zu machen, schafft die Voraussetzung zur blitzschnellen Entspannung und lenkt unsere Aufmerksamkeit immer wieder darauf. Daneben müssen auch die beiden schnellen Noten  leicht unter Beteiligung des Arms gespielt werden.
  • Hand und Arm so leicht wie möglich machen heißt tatsächlich so leicht wie möglich! Oft schummeln wir und denken zu sehr an die nächsten Noten, anstatt erst mal zu entspannen!
  • Die Reihenfolge heißt also: „Spielen – Warten/Entspannen/Vorstellen // Spielen – Warten/ Entspannen/Vorstellen….., SWEV, SWEV… .
  • Mit zunehmender Übung werden Sie Warten, Entspannen, Vorstellen als eine Aktion empfinden, so dass Sie nicht mehr so lange auf der langen Note warten müssen.
  • Anschließend können Sie je nach den eigenen Fähigkeiten die anderen Rhythmen auf die Passage übertragen und das System auf 8 bzw. 6 schnell hintereinander gespielte Noten erweitern. Also immer mehr Fermaten weglassen.
  • Immer wieder auch im langsamen Tempo spielen wie notiert (ohne Rhythmisierung).
  • Manchmal, wie auch hier im Beispiel des Rondos, können Sie die punktierten Rhythmen, nachdem Sie sie einzeln geübt haben, auch mit den Achteln links zusammen spielen. Achten Sie aber darauf, nirgends Betonungen zu machen, die dort nicht hingehören. Ohnehin sollten auch die rhythmisierten Passagen niemals mechanisch und gleich laut, sondern melodisch, phrasiert und lebendig klingen! Dazu gehört wie immer eine gute Armführung!
  • So erlangen Sie Geläufigkeit, Brillanz und Sicherheit!

Wenn wir den punktierten 1. Rhythmus auf die gelb markierten Sechzehntel im Rondo oben übertragen, beginnen wir also folgendermaßen:

Übetipps bei technischen Problemen, Rhythmustabelle

Anschließend rhythmisieren wir die Passage mit den weiteren Rhythmen. Wir automatisieren so die Bewegungsabläufe und haben schließlich keine Schwierigkeiten mehr, alles im Tempo zu spielen.

d) staccato üben

Passagen können sehr unterschiedlich klingen! Glitzernd, perlend, funkelnd wie Edelsteine, explodierend wie ein Feuerwerk, rauschend wie ein Wasserfall, verzweifelt, düster, bedrohlich u.v.a.m.

Um klanglich möglichst variabel zu sein und alle Möglichkeiten „in der Hand“ zu haben, können wir weitere Übetipps anwenden, die den Klang der Töne einer Passage verbessern und unsere Geläufigkeit trainieren.

Eine Möglichkeit ist, die Töne unterschiedlich zu artikulieren. Schon Horowitz meinte, dass er seine Fingerfertigkeit häufigem staccato-Üben verdanke.

Nun ist staccato nicht gleich staccato. Es gibt viele Möglichkeiten, ein staccato auszuführen und jede hat einen anderen Klang zur Folge. Hier wollen wir unsere Finger(-endglieder) trainieren, die für den letzten Schliff sorgen und mit der großen Sensibilität unserer Fingerkuppen sehr fein agieren können.

Also spielen wir staccato mit den Fingerkuppen. Wir zupfen die Taste, als hätten wir Saiten wie bei einer Gitarre statt Tasten unter den Fingern. Dabei haben wir vor dem Zupfen immer Tastenkontakt. Durch diesen sehr schnellen Impuls, der durchaus auch lauter sein kann, reagieren Hand und Arm. Es ist wichtig, diese Reaktion zuzulassen und nicht starr zu werden und zu verkrampfen! Eine Aktion hat immer eine Reaktion zur Folge.

Wir zupfen also staccato mit unseren Fingerkuppen und machen nach jedem staccato Hand und Arm so schlapp wie möglich. Auf diese Weise lernen wir die blitzschnelle Entspannung und trainieren die Zupfbewegung, indem wir sie übertreiben. Nach und nach werden wir das Tempo erhöhen, dabei die Bewegung kleiner und die Impulse nicht mehr so stark machen.

Im endgültigen Tempo führt dann der Arm in einer fließenden zusammenfassenden Bewegung, während die Fingerendglieder sehr differenzierte, teilweise kleinste Bewegungen machen, die eine ebensolche Klangdifferenzierung zur Folge haben.

Sehr schnelle Passagen werden übrigens fast immer staccato oder leggiero gespielt, da die Taste bei dieser Artikulation am schnellsten freigegeben wird. Trotzdem kann die Passage aufgrund des hohen Tempos legato klingen!

e) portato/non legato üben

Eine weitere Möglichkeit für eine differenzierte Klanggestaltung ist das portato-Spiel. Sehr zu empfehlen ist dies wie auch alle vorhergehenden Punkte bei Tonleitern.

Sie gehen bitte folgendermaßen vor:

  • Sie spielen einen Ton der Passage oder Tonleiter, machen nach dem Anschlag Hand und Arm sofort so leicht wie möglich und lassen sich dann von der Taste nach oben tragen. Alle weiteren Töne spielen Sie genauso. Tastenkontakt ist wichtig!
  • Dabei spielt unser Gehör eine entscheidende Rolle. Hören Sie stets auf den Anfang jeden Tones. Nach dem ersten Erklingen wird jeder Ton sofort leiser ähnlich einer Glocke, die nach dem Anschlag ebenfalls leiser wird.
  • Der Anfang jeden Tones sollte frei und voll klingen, niemals hart. Der Impuls ist recht schnell und geht ursächlich vom Finger aus, auch wenn Hand und Arm natürlich beteiligt sind. Die Finger sind also aktiver und üben nicht nur Stützreflexe aus wie bei einem vorrangig vom Arm erzeugten Impuls.
  • Hand und Arm reagieren auf diesen Impuls und sind völlig frei.
  • Direkt nach dem Anschlag machen Sie Hand und Arm so leicht wie möglich und lassen sich dabei von der Taste hochtragen.
  • Dann stellen Sie sich den Glockenklang des nächsten Tons vor, spielen, machen leicht, lassen uns hochtragen….. .
  • Das alles wird zunächst nur in starker Zeitlupe möglich sein.
  • Unser Ohr, unsere Klangvorstellung und unsere technischen Fähigkeiten werden dabei sehr gefordert, auch wenn wir langsam spielen. Wir leisten viel Hörarbeit, erzeugen einen vollen, perlenden Klang und lernen, blitzschnell Hand und Arm so leicht wie möglich zu machen.
  • Anschließend übertragen Sie diese Schritte auf ein legato. Der Ton klingt also weiter und Sie lassen sich nicht mehr von der Taste hochtragen. Wie beim portato hören Sie immer noch auf den Anfang jeden Tons und machen Hand und Arm so leicht wie möglich.
  • Dann erhöhen Sie das Tempo und können rhythmisieren.

Wir erlangen auf diese Weise große Brillanz. Wie auf einzelne Perlen einer Perlenkette konzentrieren wir uns zunächst auf den Klang und die Klangerzeugung der einzelnen Töne. Aus dieser Perspektive heraus erweitern wir unseren Blick und ordnen diese Erfahrungen wie beim staccato Üben in einen Gesamtzusammenhang (Armführung etc.) und fließenden Ablauf ein. Die Perlen fügen sich zu einer Einheit, einer fließenden Kette zusammen.

Die Schulung des Ohrs hat also Priorität! Die technische Realisierung folgt der Klangvorstellung und hat die Schulung unserer Sensomotorik zur Folge.

f) Töne verdoppeln

Um jeden Ton wirklich bewusst zu spielen und zu spüren, können wir ihn doppelt oder auch vierfach folgendermaßen spielen:

  • staccato
  • in punktiertem Rhythmus (Rhythmustabelle Punkt 1), hier aber in der Form, dass wir den gerade lang gespielten Ton kurz wiederholen und mit dem neuen nächsten Ton verknüpfen.
  • Verbindungen zweier oder mehrerer Töne mehrfach wiederholen, mit denen Sie ein Problem haben.

Im Rondo „Alla Turca“ sieht der zweite Punkt so aus:

Übetipps bei technischen Problemen, doppelt spielenWichtig: auch hier ist die Beteiligung des Arms entscheidend! Nur so bleiben Sie flexibel und beweglich, nur so entsteht ein freier und perlender Klang. Ich weise immer wieder darauf hin, weil es leicht vergessen wird.

3.5 Weitgriffige Akkorde

Wenn wir weitgriffige Akkorde oder große Intervallabstände spielen müssen, die die Spannweite  und Dehnfähigkeit unserer Hände an ihre Grenze treiben, sind wir manchmal überfordert. Wir spreizen die Hände aufs Äußerste, um die geforderte Dehnung doch noch zu erreichen und haben doch keinen Erfolg.

Warum?

Weich auseinanderfließen

Wenn wir spreizen und uns sehr anstrengen, spannen wir viele Muskeln an. Dann sind wir leider nicht mehr weich, flexibel und dehnfähig und können die Akkorde erst recht nicht spielen.

Stellen Sie sich lieber vor, Ihre Hand würde ganz weich auseinanderfließen, in die Tasten fließen. Vermeiden Sie das Wort „spreizen“. Sie machen die Finger lang und können an die geschmeidigen und flexiblen Tentakel eines Tintenfischs denken, der fließend und völlig unangestrengt über den steinigsten Meeresgrund gleiten kann.

Durchlässigkeit bedeutet, jede unnötige und überflüssige Anspannung zu vermeiden und stets frei beweglich zu sein. Das gilt auch für die Hände. Flexibel und geschmeidig passen sie sich an das jeweilige Tastengelände und die entsprechenden Anforderungen an.

Aber wie üben wir so etwas?

Übung

Nehmen wir einen Akkord der linken Hand aus dem Prélude op.28,4 von F. Chopin, hier gelb markiert. Manchen bereitet nicht nur der Sprung vorher (mehr dazu unter „Sprünge“), sondern auch die Griffweite des Akkords Schwierigkeiten.

Übetipps bei technischen Problemen, weite Akkordgriffe

Dagegen können wir folgendes tun:

  • das Ganze in bequemerer Lage eine Oktave tiefer spielen.
  • nur die äußere Oktave A-a am äußeren Rand der weißen Tasten spielen, lange halten und Hand und Arm so leicht und schlapp wie möglich machen. Die Hand sollte sich richtig labberig anfühlen. Die mittleren Finger liegen dabei gemütlich und lang auf den Tasten herum.
  • die Oktave zusammen mit dem fis (2. Finger) spielen, lange halten, so leicht und schlapp wie möglich machen.
  • die Oktave mit dem c (4. Finger) spielen, lange halten, so leicht und schlapp wie möglich machen.
  • alle vier Töne zusammen spielen, lange halten, so leicht und schlapp wie möglich machen.
  • Schritte wiederholen, aber niemals die Hand überstrapazieren!
  • das Ganze in originaler Lage spielen. Dabei werden Sie feststellen, dass es am bequemsten ist, nur den Daumen am Rand der Taste zu spielen und den 5. Finger in der Nähe der schwarzen Tasten. Die bequemste Lage ist immer individuell aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheit der Hände. Probieren Sie aus, wo es sich für Sie am angenehmsten anfühlt!

Sie spielen also immer eine Auswahl der Töne, halten sie lange und entspannen Hand und Arm so weit, dass die Tasten nur noch gerade unten bleiben. Die Hand fühlt sich labbrig wie ein feuchter Waschlappen an. Das Handgelenk ist beweglich, weich und geschmeidig, der Arm ebenso.

Vorsichtig und entspannt dehnen

Manchmal hilft auch das nicht und schon eine Oktave ist zu weit. Dann können Sie folgende Übung machen:

  • wählen Sie eine bequeme Lage.
  • wählen Sie keine Oktave, sondern ein Intervall, dass für Sie angenehm ist (Sexte….), beispielsweise A-f mit 5. und 1. Finger der linken Hand.
  • spielen Sie zunächst nur den 5. Finger, halten ihn und machen Hand und Arm so leicht wie möglich.
  • fügen Sie den 1. Finger hinzu, halten Sie beide Töne lange und machen Hand und Arm so leicht, schlapp und labberig wie möglich.
  • lassen Sie die mittleren Finger schlapp auf den Tasten liegen. Je weiter der Abstand, desto länger die Finger.
  • dann erweitern Sie das Intervall sukzessive chromatisch, also A-fis, A-g, A-gis, A-a, evtl. A-b, A-h … . Dabei wird sich die Position des 5. Fingers auf dem A verändern. Wenn der Daumen auf einer schwarzen Taste liegt, wird der 5. Finger in Richtung Klavierdeckel auf der Taste wandern … .
  • spielen Sie die Töne immer nacheinander! Dabei können Sie auch umgekehrt vorgehen (erst 1. Finger, dann 5. Finger), je nachdem, was sich für Sie besser anfühlt.

Dieses Prinzip können Sie überall in allen Fingerkombinationen und mit beiden Händen anwenden! Beispielsweise können Sie den 5. Finger der rechten Hand spielen auf c” und die Taste nur noch gerade eben im Tastenboden halten, also so leicht wie möglich machen. Dann spielen Sie mit dem 4. Finger h’, b’, a’, as’, g’, fis’ …. chromatisch abwärts in der oben beschriebenen Weise.

Wenn im obigen Akkord des Préludes der Abstand des 4. zum 2. Finger für Sie unangenehm ist, können Sie z.B. den 2. Finger erst in eine bequemere Position auf e’ bringen. Wie immer lange halten, so leicht und schlapp wie möglich machen. Dann mit dem 2. Finger das f’ spielen, lange halten, schlapp machen und schließlich das fis’. Am besten vorher oktavieren, weil die bequemere Lage weniger Spannung mit sich bringt. Später können Sie dann in die originale Lage zurückgehen.

Wichtig!

Entscheidend für den Erfolg ist zum einen, wirklich Hand und Arm so schlapp wie möglich zu machen. Nicht nur ein bisschen, sondern tatsächlich auszuprobieren, ob es nicht noch ein bisschen labbriger geht. Das Handgelenk ist butterweich und alles fühlt sich leicht und geschmeidig an. So entspannt wie möglich, so gespannt wie nötig. Mit anderen Worten: je fauler, desto besser!

Zum anderen ist die Beteiligung des Arms entscheidend! Sagen Sie mal einem Tintenfisch, er solle nur seine äußeren Tentakel weich und geschmeidig machen. Das geht gar nicht! Und auch bei unserem Spielapparat bilden Hand und Arm (= Tentakel) eine Einheit.

Dehnübungen sind immer armgesteuert. Ich kann mit meinen Händen nur in die Tasten hineinfließen und weich sein, wenn der Arm mir dazu die nötigen Voraussetzungen gibt. Achten Sie also darauf, dass Ihr Arm vom Rücken aus ebenso weich ist, sich je nach den Anforderungen weiter vorne flexibel bewegt und mit Hand und Fingern eine Einheit bildet.

So gewöhnen Sie sich allmählich daran, weitgriffige Akkorde weich und möglichst entspannt anzufassen. Gleichzeitig dehnen Sie dabei Ihre Muskulatur, besonders die für die Spannweite der Hand verantwortliche Daumenmuskulatur.

Seien Sie aber vorsichtig mit solchen Übungen und spielen Sie sie nicht zu lange! Horchen Sie in sich hinein, ob sich die Hand überstrapaziert anfühlt oder ob irgendetwas weh tut. Dann sofort aufhören!

Vom Körper aus denken

Dieser Punkt ist für die Bewältigung von weiten Griffen und Tonfolgen ebenfalls sehr hilfreich!

Wir denken nämlich sehr oft von unseren Fingern aus. Die sind aber sehr nahe an den Tasten und deshalb erscheinen uns Abstände verständlicherweise riesig. Denken Sie nur an die 88 Tasten! Vom Finger aus sind das ganz schöne Strecken.

Denken Sie aber vom Körper aus, spielen Sie alle weißen oder schwarzen Tasten mit einer einzigen Armbewegung (glissando). Von großen Abständen ist nichts mehr zu spüren, denn mit unseren Armen kommen wir locker und schnell überall hin!

Denken Sie also bei weiten Griffen und Tonfolgen immer an eine gute Armführung und vom Körperzentrum zum Klavier, nicht umgekehrt!

3.6 Sprünge 

Viele Klavierspieler verzweifeln, wenn sie in einem Stück auf der Tastatur größere Entfernungen zurücklegen müssen und fragen sich:

„Wie soll ich bloß diesen Akkord, diesen Ton treffen?“

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen gemütlich am sonntäglichen Frühstückstisch. Sie greifen sich den Salzstreuer, holen sich den Honigtopf, gießen sich den Kaffee ein und all diese Gegenstände befinden sich teilweise Armlängen von Ihnen entfernt.

Denken Sie da auch: „Wie soll ich jemals den Salzstreuer treffen?”

Nein, Sie schauen einfach auf den Salzstreuer und holen ihn sich mit einer fließenden Bewegung Ihres Arms! Sie springen nicht, Sie gleiten!

Das müssen Sie nur noch auf das Klavierspielen übertragen.

Nicht springen, sondern gleiten

Mit gleitenden Armbewegungen, sehr oft in Form von Ellipsen, kommen Sie ruckzuck überall hin! Zum Beweis setzen Sie sich vor Ihr Instrument, legen die Hände in den Schoß  und bestimmen einzelne Töne, die Sie von dieser Position aus spielen.

Und? Klappt doch problemlos! Ihr Arm bringt Sie zum Ziel!

Das liegt auch daran, dass Sie vorher auf das Ziel schauen!

Ziel anvisieren

Wenn ein Frosch eine Fliege fängt, schaut er vorher, wo sie ist. Wenn Sie den Salzstreuer greifen, sehen Sie ihn vorher an.

Beim Klavierspielen schauen Sie ebenso auf das Ziel, also dahin, wohin Sie als Nächstes gelangen und wo Sie spielen wollen. Bei Einzeltönen ist das überhaupt kein Problem, bei Akkorden aber haben wir mehrere Töne zur Auswahl und wissen nicht, auf welchen Akkordton wir zuerst schauen sollen. Gleichzeitig müssen wir schnell und flexibel sein und deshalb lernen, blitzschnell zu entspannen und loszulassen.

Diese drei Anforderungen (finden, blitzschnell entspannen, schnell sein) werden in drei aufeinander aufbauenden Übungen trainiert, die ich in den nächsten Abschnitten beschreibe.

Führfinger – Akkorde finden

Bei Akkorden gibt es immer Finger und Töne, die Sie sicher zum Ziel geleiten!

Viele orientieren sich am untersten oder obersten Ton eines entsprechenden Akkords. Sie haben dann immerhin die ungefähre Position des Akkords gefunden, müssen dann aber noch ihre Finger sortieren. Das kostet zuviel Zeit und Frust stellt sich ein.

Wir nehmen noch einmal das Beispiel des Preludes op. 28,4 von F. Chopin:

Dieses Mal geht es nicht um Probleme bei der Griffweite des gelb markierten Akkords, sondern um den Sprung von der Oktave ‘H-H eine Achtel zuvor in den Akkord hinein. Als Voraussetzung für die nächsten Schritte sollten Sie den Akkord sicher spielen können!

Um nun nach der Oktave den Akkord sicher zu finden, visieren Sie nicht den ganzen Akkord, sondern nur die innenliegenden Töne an! In diesem Fall sind das c’-fis’, mit dem 4. und 2. Finger gespielt.

Merke: sehr oft sind die innenliegenden Töne oder einer davon die Führfinger, die uns leiten! 

Übung 1:  Führfinger

  • spielen Sie den kompletten Akkord so bequem und entspannt wie möglich und schauen Sie, wo auf der Taste die beiden mittleren Finger (4. und 2. Finger) liegen. Merken Sie sich diese Position!
  • Spielen Sie an dieser Position nun nur die beiden Töne c’-fis’. Entspannen Sie und machen Sie es sich gemütlich!
  • Spielen Sie nun die Oktave ‘H-H eine Achtel zuvor mit einem Armschwung nach vorn und gleiten mit dem Arm in einer Ellipse im Uhrzeigersinn zu diesen Positionen der beiden mittleren Finger (Pedal nehmen). Als wären auf den Tasten Magnete befestigt, die Sie unweigerlich dahin ziehen. Sie berühren immer erst die Tasten, bevor Sie spielen (Tastenkontakt)! So bekommen Sie Sicherheit und Kontrolle.
  • Spielen und halten Sie die beiden Töne und machen die Hand so schlabbrig und leicht wie möglich. Wiederholen!
  • Auf diese Weise wissen Sie, wo Sie hinschauen müssen (Ziel) und werden geradewegs zum Ziel geleitet. Die Außenfinger gruppieren sich locker um das Zentrum, um die Führfinger herum.
  • Spielen Sie nun wie notiert mit komplettem Akkord, aber bitte lassen Sie sich Zeit. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Position der mittleren beiden Töne, auf den 2. und 4. Finger, führen Sie Ihren Arm dorthin, berühren Sie die Tasten und spielen Sie dann so entspannt wie möglich.

Exkurs: Wenn Sie den manchmal problematischen Übergang zum nächsten Akkord g-h-dis’-fis’ üben möchten, gehen Sie genau so vor! Die mittleren Finger (3. und 2. Finger auf h-dis’) sind die Führfinger und Sie spielen den Akkord und schauen, wo diese beiden Finger anschlagen. Ziemlich weit vorne in der Nähe des Klavierdeckels, wie Sie feststellen werden. Die Position merken Sie sich und  spielen nur die beiden Töne an dieser Position. Anschließend fügen Sie den Akkord davor hinzu. Weiter geht es wie oben beschrieben.

Schlapp machen

Und nun zur blitzschnellen Entspannung!

Dieser Aspekt hat schon in den vorherigen Punkten eine zentrale Rolle gespielt! Er ist so wichtig, weil wir nur aus einer stabilen und flexiblen Haltung völlig frei agieren können. Jede Härte oder Blockade im Körper hat Härten und Blockaden im Klang zur Folge und macht uns klein, eng und unbeweglich statt durchlässig, gelöst und offen. Zudem können wir Akkorde nur dann weich anfassen, wenn wir vorher weich sind!

Das können wir üben!

Übung 2: blitzschnelle Entspannung

  • Spielen Sie die Oktave des Préludes mit Armschwung nach vorn und landen Sie erneut auf den beiden mittleren Tönen c’-fis’.
  • Allerdings spielen Sie sie nicht, sondern lassen Ihre Finger total schlapp und gemütlich auf den Tasten liegen! Das ist der große Unterschied zur vorherigen Übung!
  • Nach einem Sprung wollen wir gern reflexartig unsere Hand anspannen. Dann können wir den Akkord aber nicht mehr weich anfassen. Durch diese Übung lernen wir, nach einem Sprung unsere Hand so weit wie möglich zu entspannen.
  • Machen Sie also Ihre Hand so leicht und schlapp wie möglich, während Ihre Finger immer noch nur auf den entsprechenden Tasten liegen. Sie tun so, als wollten Sie gar nicht spielen!
  • Spielen Sie dann die beiden Töne, halten Sie sie und machen wieder so leicht wie möglich.
  • Dann spielen Sie Oktave und den ganzen Akkord auf die gleiche Weise! Die Führfinger führen Sie zum anvisierten Akkord. Sie spielen aber nicht, sondern lassen die Hand auf den Tasten liegen, um sie so schlapp und leicht wie möglich zu machen. Erst wenn Sie das getan haben, dürfen Sie den Akkord spielen und machen wieder leicht.

Wenn Sie darin schon geübt sind und die blitzschnelle Entspannung nach dem Sprung automatisiert haben, können Sie den dritten Teil der Programmierung angehen:

Übung 3: Schnelligkeit

  • Bewegen Sie sich blitzschnell von der Oktave zum Akkord hin! Dann wieder nicht spielen, warten, schlapp machen, spielen, wieder schlapp machen. So lernen Sie, Sprünge sehr schnell zu spielen. Entscheidend ist auch hier wieder, dann nicht zu spielen, sondern zu warten, leicht zu machen etc.
  • Üben Sie auf diese Weise auch Dreiklänge mit ihren Umkehrungen, oktavierte Dreiklänge u.ä.

Auf diese Weise können Sie alle Sprünge üben! Sie lernen Schnelligkeit, blitzschnelle Entspannung und Treffsicherheit. Sie werden überrascht sein, wie leicht Ihnen dann Sprünge vorkommen. So entspannt wie möglich geben Sie mit Ihrem Arm kurze Impulse, müssen also eigentlich recht wenig machen. Es geht immer um die Koordination von Bewegungsimpulsen, nicht um Kraft!

Sprünge größer machen

Ein lustiger Trick besteht darin, sich den Sprung zu erschweren! Machen Sie ihn größer als er eigentlich ist, z.B. durch Oktavierungen – er wird Ihnen im anschließenden Normalmaß plötzlich ganz leicht und klein vorkommen.

Sprünge nach unten mit dem 5 Finger

Besonders in der linken Hand finden wir häufig Begleitfiguren (Walzer von Chopin …), bei denen wir mit dem 5. Finger einen weit entfernten Basston spielen müssen.

Auch hier denken wir weniger an „Sprung“, sondern lieber an „Schwung“. In Ellipsen oder Bewegungen, die einem liegenden S ähneln, gleiten wir zum Basston, fühlen die Taste (Tastenkontakt) und spielen mit einem Armschwung nach vorn, der uns wieder nach oben bringt. Wir verbinden also den Basston und die begleitenden Akkorde mit elliptischen Bewegungen des Arms.

Außerdem können wir mit geschlossenen Augen in totaler Zeitlupe die Position des Basstons erfühlen durch Konzentration auf die umliegenden schwarzen Tasten, von denen wir aus den Zielton spielen.

In sehr schnellem Tempo werfen wir die Hand eher nach unten und können den Basston auf schwarzen Tasten sogar mit der Außenkante des 5. Fingers spielen. In dem Fall kann die Ellipse auch gegen den Uhrzeigersinn gespielt werden, während sie in langsamerem Tempo eher mit dem Uhrzeigersinn gespielt wird.

„Blind“ üben

Wenn wir die Sprünge geübt haben, ist es sehr hilfreich, sie mit geschlossenen Augen zu üben!

Sie wundern sich vielleicht, weil ich bisher immer vom „Ziel anvisieren“ gesprochen habe, bei dem wir unsere Augen benötigen. Jedoch entwickeln Sie mit der Zeit ein Gefühl für die Abstände Ihres Körpers zu den Tastenräumen.

Jetzt „blind“ zu üben, schärft Ihre Sinne für diese Raumwahrnehmung und es ist erstaunlich, zu was wir fähig sind. Mehr dazu im Beitrag „Blind“ üben!

Blattspiel

Vom Blatt, also „prima vista“ zu spielen, hilft sehr, sich auf der Tastatur zurecht zu finden. Wir lesen den Notentext und haben gar keine Zeit, auf die Klaviatur zu schauen.

Fazit

Sprünge sind also leichter als wir denken. Mit unserem Arm gleiten wir wie ein Balletttänzer über die Tasten, geben Impulse und entspannen so viel wie möglich. Weich fassen wir Akkorde an. Es ist ein sinnliches Erlebnis und Sprünge eröffnen wundervolle Klangräume.

Ich persönlich denke selten den Ausdruck „Sprünge“, sondern empfinde diese Klangfolgen und Bewegungsabläufe eher wie die Choreographie einer Eisläuferin, die mühelos und mit großer Leichtigkeit über das Eis gleitet.

3.7 Verschiedene Lautstärken in zwei Händen/einer Hand

Verschiedene Lautstärken in zwei Händen

Besonders Anfängern fällt es schwer, in der Lautstärke (Dynamik) zu differenzieren. Sie hören schon, dass es nicht gut klingt, wenn alle Töne gleich laut sind, wissen aber nicht, wie sie die dynamische Differenzierung technisch umsetzen können.

  • Stellen Sie sich dazu vor, die Klaviatur wäre eine dicke, weiche Matratze, in die Sie je nach gewünschtem Klang mal tiefer, mal weniger tief einsinken!
  • Wenn Sie z.B. eine Melodie kantabel und voll spielen wollen, sinken Sie tief in den Tastenboden ein und spielen „im Klavier“. Wenn Sie eine Begleitung sehr leise spielen wollen, bleiben Sie an der Oberfläche, also „auf dem Klavier“.
  • Übetipps bei technischen Problemen, unterschiedliche Lautstärken in zwei HändenDas Gefühl ist ähnlich einer Waage oder Wippe, bei denen eine Seite unten und eine oben ist. Es gibt verschiedene Niveaus. Sie können sich auch das Bild von Standbein und Spielbein vorstellen – das Standbein fühlt intensiv den Boden, das Spielbein ist ganz leicht.

Übetipps bei technischen Problemen, unterschiedliche Lautstärken in zwei Händen

 

  • Setzen Sie sich nun ans Klavier und lassen Sie die rechte Hand aus etwa 20 cm Höhe flach aufs Klavier plumpsen. Fühlen Sie die Schwere der Hand, während sie auf den Tasten liegt.
  • Heben Sie den linken Arm hoch und lassen Sie ihn langsam wie ein landendes Flugzeug von oben auf die Tasten gleiten. Spüren Sie den Unterschied zwischen der Schwere der rechten und der Leichtigkeit der linken Hand (Waage/Wippe)!

Jetzt müssen wir dieses Spielgefühl nur noch umsetzen! Kleine 5-Finger-Übungen eigenen sich prima dazu! Wir übertreiben zunächst die Lautstärken und spielen in einer Hand forte, mit der anderen p-pp oder sogar lautlos. Außerdem spielen wir die unterschiedlich lauten Töne nicht gleichzeitig, sondern versetzt. Wir machen es uns so leichter und nähern uns unserem Ziel allmählich an.

Übung 

  • Sie legen Ihre rechte Hand auf c”,d”,e”,f”,g” mit 1,2,3,4,5.
  • Anschließend spielen Sie diese Töne langsam legato in einem vollen und warmen forte hin und zurück und geben bei jedem Ton einen Armschwung nach vorn. Sinken Sie ins Klavier ein bis tief in den Tastenboden, machen Hand und Arm nach jedem Schwung aber wieder leicht.
  • Nun nehmen Sie die linke Hand hinzu. Sie legen sie aber – Überraschung! – nur ganz leicht auf den Rand des Klavierdeckels, nicht auf die Tasten. Jetzt haben Sie bereits das Waagegefühl (links oben, rechts unten). Ihre Schultern hängen locker, Sie sitzen aufrecht und haben guten Bodenkontakt mit Ihren Füßen.
  • Spielen Sie die rechte Hand nun noch einmal, während die linke ganz leicht auf dem Rand des Klavierdeckels liegt. Spüren Sie, wie sich das anfühlt.
  • Nun spielen Sie beide Hände versetzt, also nacheinander. Erst rechts das c” (forte). Während es gehalten wird, spielen Sie mit dem Daumen der linken Hand stumm und ganz leicht auf dem Klavierdeckel. Dann spielen Sie mit rechts das d”. Während es gehalten wird, spielen Sie den zweiten Finger links auf dem Klavierdeckel. Und so weiter… . Beide Hände spielen legato und sehr langsam, auch wenn links kein Ton erklingt.
  • Das Gleiche nun immer noch versetzt mit der linken Hand auf den Tasten, beispielsweise c,H,A,G,F mit 1,2,3,4,5! Allerdings spielt sie erst einmal stumm nur gerade an der Oberfläche. Sie versuchen, das Spielgefühl der Waage oder Wippe beizubehalten, achten aber darauf, dass Sie beide Schultern locker hängen lassen und vor allem rechts den Arm einsetzen (Armschwung nach vorn). Auch links ist alles weich und geschmeidig. Sie sind durchlässig und gelöst, setzen sich nicht unter Druck und probieren einfach.
  • Nun das Gleiche mit spielender linker Hand (pianissimo). Rechts spielen Sie weiterhin forte mit Armschwüngen, sinken tief ein ins Klavier und machen nach dem Schwung leicht, während links immer noch weitestgehend an der Oberfläche spielt. Immer noch erklingen die Töne versetzt, legato und sehr langsam.
  • Dann können Sie versuchen, die beiden Töne schneller hintereinander zu spielen bei ebenso unterschiedlicher Dynamik.
  • Wenn Sie darin Routine haben, spielen Sie die Töne gleichzeitig. Dabei geht die linke Hand zunächst erneut auf den Klavierdeckel, um dann wie oben stumm/mit leisen Tönen auf der Klaviatur zu spielen. Sie versuchen, das bisherige Spielgefühl zu bewahren.
  • Bitte konzentrieren Sie sich dabei auf die rechte, auf die lautere Hand! Das ist sehr wichtig für den Erfolg!
  • Die ganze Übung sollten Sie auch andersherum machen (Hände tauschen)!
  • Die Übung zu transponieren ist ebenfalls hilfreich! Sie können dazu gern auch die sog. Chopin-Lage „e,fis,gis,ais,c“ nehmen.

Diese Übung reduziert die Schwierigkeit auf ihr Kernproblem bei der Verwendung sehr einfacher Töne. In den nächsten Schritten übertragen wir dieses Prinzip auf Stücke. Auch dort kann es sehr hilfreich sein, die leise Hand zunächst auf dem Klavierdeckel zu spielen. Bei alldem sind der Einsatz des Arms und locker hängende Schultern wichtig! Je ruhiger, gelöster und aufrechter wir sind, desto besser klappt’s!

Verschiedene Lautstärken in einer Hand

Wenn wir verschiedene Stimmen und dynamische Stufen in einer Hand spielen, gehen wir ähnlich vor. Wir stellen uns vor, dass unsere Hand zweigeteilt ist und wir quasi zwei Hände in einer besitzen (bei anspruchsvoller Literatur müssen wir sogar in der Lage sein, die Hand innerlich beliebig in Funktionsbereiche teilen zu können wie z.B. bei Tremoli, Triller +Melodie in einer Hand …).

Wichtig ist eine solche „zweigeteilte Hand“ auch bei Akkorden. Akkorde müssen immer klanglich und dynamisch differenziert werden. Einmal sind die Saiten unseres Instruments unterschiedlich lang und haben eine unterschiedliche Klangmasse, die wir ausgleichen müssen. Dann enthält die Oberstimme oft den Melodieton, der lauter gespielt wird als die anderen. Es hilft, instrumentiert zu denken und die Akkordtöne sich ganz farbig in Instrumentengruppen vorzustellen.

Auch die anderen Akkordtöne sind keineswegs gleich laut. Grundtöne haben eine andere klangliche Bedeutung als Terzen oder Quinten, Dissonanzen geben Farbe.

Bevor Sie jetzt einen Schreck kriegen: Sie haben schon sehr viel gewonnen, wenn Sie ganz einfach die Oberstimme eines Akkords lauter spielen können!

Nehmen wir als Beispiel einen Ausschnitt des Klavierstücks „Für Elise“ von L.v. Beethoven:

Übetipps bei technischen Problemen, unterschiedliche Lautstärken in einer Hand

Die Akkorde der rechten Hand enthalten die Melodie, oben gelb markiert. Diese Oberstimme, diese horizontale Linie, muss also herausgearbeitet und lauter gespielt werden als die anderen Akkordtöne.

Vorbereitung

  • Spielen Sie nur die gelb markierte Oberstimme (Melodie) mit freiem Fingersatz und singendem Ton. Sie können auch die Basstöne der linken Hand dazu spielen.
  • Gestalten/phrasieren Sie diese Melodie. Wo wollen Sie hinspielen, wo spannt/entspannt sich die Phrase, wo werden Sie lauter/leiser?
  • Anschließend spielen Sie sie mit dem notwendigen Fingersatz (4./5. Finger). Die Oberstimme sollte genauso gesanglich klingen wie mit freiem Fingersatz.
  • Spielen Sie nun mit der linken Hand die anderen Akkordtöne ganz leise dazu, so dass die rechte Hand komplett erklingt. Sie spielen also die Akkorde im Violinschlüssel mit beiden Händen. Nehmen Sie Pedal! Jetzt wissen Sie, wie die Akkorde klingen sollen: mit einer wunderschönen, leuchtenden Oberstimme! Sie schulen auf diese Weise Ihre Klangvorstellung und das wird Ihnen helfen, wenn Sie die Akkorde mit einer Hand spielen!

In der folgenden Übung lernen Sie, wie Sie einen Akkord mit nur einer Hand dynamisch differenzieren, d.h. die Oberstimme lauter spielen als die anderen Töne. Auch hier übertreiben Sie zunächst die Lautstärken und spielen die Oberstimme forte und die anderen Töne pp.

Übung

  • Wir wählen den zweiten Akkord im zweiten Takt auf der ersten Zählzeit aus. Er ist leichter zu spielen.
  • Erinnern Sie sich an die Übung der unterschiedlichen Lautstärken mit zwei Händen (s.o.) und übertragen Sie Spielgefühl und Prinzip auf diese Übung.
  • Spielen Sie das d” mit dem 5. Finger der rechten Hand und schönem Armschwung nach vorn. Es erklingt ein warmes und volles forte.
  • Machen Sie dann Handgelenk und Arm so weich und leicht wie möglich, fühlen Sie den 5. Finger aber immer noch im Tastenboden, als stünden Sie auf einem Bein!
  • Spielen Sie zum gehaltenen d” die anderen beiden Akkordtöne f’ und a’ mit dem 1. und 2. Finger so leise und leicht wie möglich! Es erklingt ein pp.
  • Halten Sie die drei Töne lange und spüren Sie den gestützten 5. Finger tief in den Tasten („im Klavier“) und die anderen beiden Töne ganz leicht „auf dem Klavier“.
  • Stellen Sie sich dabei eine zweigeteilte Hand oder Bilder einer „Waage“, „Wippe“, „Standbein – Spielbein“ o.ä. vor.
  • Merken Sie sich auch die Handstellung, die ganz leicht zum 5. Finger hin ausgerichtet ist. Die Hand sollte nicht zum Daumen gekippt sein, sonst wird der zu laut. Der Daumen spielt ganz leicht mit der vorderen linken Ecke und keinesfalls mit der ganzen Seite!
  • Entspannen Sie Ihr Handgelenk und Ihren Arm und machen Sie sie ganz weich!
  • Das Halten ist das eigentlich Wichtige – damit erlangen Sie das nötige Spielgefühl!
  • Wiederholen!
  • Später können Sie die beiden Töne etwas schneller nach dem 5. Finger spielen und schließlich gleichzeitig.
  • Beim gleichzeitigen Erklingen lenken Sie den Armschwung geradewegs in den 5. Finger und konzentrieren sich auf ihn und den warmen forte-Klang.
  • Alternativ können Sie auch alle drei Töne spielen und anschließend die unteren beiden Tasten etwas hochkommen lassen. Auch so bekommen Sie das nötige Spielgefühl für die Ausführung.

Das Prinzip wenden Sie auch bei den anderen Akkorden an. Wenn Ihnen das gut gelingt, können Sie die Akkorde wie notiert am Stück spielen. Der Trick dabei ist, die unteren leisen Töne nach dem Anschlag loszulassen und die Oberstimme so weit zu binden wie möglich! Der Arm hilft Ihnen dabei. Nehmen Sie Pedal!

Bitte bauen Sie immer wieder die vorbereitenden Schritte (s.o.) in Ihr Üben ein, damit Ihr Ohr Sie bei der Klangerzeugung führt. Ihre Oberstimme wird singen und leuchten!

3.8 Akkordisch üben

Alle Klavierwerke, Stücke der Moderne mal ausgenommen, haben eine harmonische Struktur. Es gibt immer eine Abfolge von Harmonien, die zueinander in Beziehungen von Spannung und Entspannung stehen. So wie wir auch in unserem Leben sehr unterschiedliche Beziehungen zu Menschen eingehen.

Harmonien ergeben sich aus dem Zusammenklang von Stimmverläufen, erklingen in akkordischer Gestalt und sind die tragende Kraft einstimmiger Melodien. Oft erklingen die Töne einzelner Harmonien nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Durch das Zusammenfügen dieser Harmonietöne zu einem  Akkord (akkordisches Üben) schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: wir hören die Beziehungen der Harmonien zueinander wesentlich klarer, erleben also die harmonische Struktur und wir lernen schneller, indem wir viele Töne und Informationen zu einem Akkord/einer Information zusammenfassen. Das akkordische Üben hilft uns also auch bei der technischen Bewältigung.

Beispiel 1

Übetipps bei technischen Problemen, akkordisch üben

Dieses beliebte Präludium BWV 999 von J.S. Bach sieht auf den ersten Blick unübersichtlich aus. Auf den zweiten Blick erkennen wir jedoch, dass die Einzeltöne jeden Taktes eine Harmonie bilden, die wir zum besseren Verständnis und leichteren technischen Umsetzung als Akkorde gleichzeitig spielen können.

Wir üben also taktweise akkordisch, was bedeutet, dass wir den ersten Basston mit den ersten drei Sechzehnteln der rechten Hand zu einem Akkord zusammenfassen. Nehmen Sie dabei Pedal (sonst nicht!), das klingt besser.

Übetipps bei technischen Problemen, akkordisch übenetc.

Sie werden feststellen, dass Sie auf diese Weise sowohl musikalisch wie auch technisch das Stück schnell beherrschen. Hören Sie auf die Beziehungen von Spannung und Entspannung der Akkorde/Harmonien. Ist ein Akkord dissonant oder konsant? Will er sich auflösen und tut er das auch? Welche Töne sind die dissonanten in einem Akkord und in welche Richtung streben sie? Wie heißen die Harmonien, auf welche Grundtonart beziehen sie sich und wie entwickeln sie sich?….

Die Abfolge der Harmonien verwandelt sich in eine spannende Geschichte und Sie erzählen diese Geschichte! Fast nebenbei lernen Sie die Abfolge der Akkordgriffe. Dieses Gerüst führt Sie, wenn Sie die Akkorde anschließend ausspielen.

Beispiel 2

Das gleiche Prinzip können Sie auch hier im 2. Satz der Sonate C-Dur KV 545 von W. A. Mozart anwenden:

Übetipps bei technischen Problemen, akkordisch üben

Sie erkennen, dass die ausgespielten Sechzehntel der linken Hand pro Viertel eine Harmonie bilden. Wieder erlangen Sie mehr musikalisches Verständnis und technische Sicherheit, wenn Sie diese Albertibässe als Akkorde spielen:

Übetipps bei technischen Problemen, akkordisch üben, Albertibässe

Und noch besser so:

Übetipps bei technischen Problemen, akkordisch üben

Überrascht hören Sie die überwältigende Wirkung und Farbe des Akkords auf der 3. Zählzeit in Takt 3 und fragen sich vielleicht, was dieses Gebilde für eine emotionale Wirkung hat und warum sie sie hat. Neue Welten tun sich auf!

Diese Übetipps erlauben eine vielfältige Herangehensweise an das musikalische Material. Es lohnt sich im Übrigen immer, beim Üben das harmonische Gerüst herauszufiltern. Mehr dazu im Beitrag „Ein neues Klavierstück: üben – hören – entdecken“.

3.9„Blind“ üben/Mental üben

Wenn wir unsere Augen schließen, schärfen sich unsere anderen Sinne. Das können wir nutzen, um

  • Sprünge zu üben
  • technische Probleme zu lösen
  • uns selbst besser zuzuhören
  • Durchlässigkeit zu überprüfen
  • ….

Wenn wir mental üben, stellen wir uns das Stück oder bestimmte Stellen vor, ohne sie zu spielen. Es gibt kaum eine bessere Methode zu überprüfen, ob wir wirklich alles genau im Kopf haben.

Mehr zu diesen beiden wertvollen Übetipps finden Sie hier!

3.10 Bäumchen wechsel dich – Hände tauschen

Wenn wir technische Probleme haben, kann es helfen, kreativ und flexibel unsere Hände zu tauschen:

  • wir können zwei Stimmen einer Hand mit beiden Händen spielen und uns so die Ausführung zunächst erleichtern. Unsere Klangvorstellung schärft sich, wird wesentlich transparenter und führt uns bei der anschließenden Ausführung mit einer Hand.
  • wir können die Melodie und andere musikalische Elemente mal mit rechts, mal mit links spielen. Oft ist eine Hand geschmeidiger und beweglicher als die andere. Die Hände lernen voneinander und das können wir nutzen!
  • Deshalb können wir eine problematische Stelle einer Hand auch unisono spielen. Die andere Hand spielt also das Gleiche oktavversetzt mit.
  • Noch besser ist es, die andere Hand spiegelverkehrt dazu zu spielen. Die Tastatur spiegelt sich sowohl am d’ wie auch am gis’. Spiegelverkehrt spielt die zweite Hand symmetrisch das, was die andere Hand spielt. So können beide Hände noch besser von einander lernen, weil bei beiden im Gegensatz zum unisono-Spiel exakt dieselben Bewegungen nötig sind. Allerdings ist die Realisierung nicht einfach und klingt im Zusammenspiel oft gewöhnungsbedürftig. Marc-André Hamelin schwört auf dieses Üben der „symmetrischen Inversion“.

3.11 Schneller üben

Manchmal lohnt es sich, eine Etüde oder ein Stück mit vielen schnellen Passagen über Tempo zu spielen, d.h. schneller als nötig. Wir schaffen uns dadurch eine Reserve und die Passagen erscheinen im regulären Tempo plötzlich nicht mehr so schnell und nicht mehr so schwer.

Wir erschweren uns also Stücke oder Passagen, die uns dann viel leichter vorkommen.

Diese Übemethode ist jedoch eher für fortgeschrittene Spieler geeignet, die sich gut einschätzen können und im schnelleren Spiel nicht verkrampfen.

3.12 In verschiedenen Registern/Oktaven üben

Manchmal lohnt es sich, in verschiedenen Registern zu üben.

  • Wenn eine Stelle in sehr tiefen Lagen komponiert ist, können wir sie nach oben hin oktavieren und den Klang transparenter und klarer hören.
  • Manchmal sind Stücke oder Stellen in eher unbequemen Lagen komponiert, so dass sich Rückenschmerzen etc. einstellen können. Es hilft, entweder den Stuhl zu verrücken oder die Stellen in bequemeren Lagen zu üben.
  • Wenn wir eine schnelle Passage in der linken Hand spielen, können wir diese auch mal ohne Pedal tiefer oktaviert spielen. Bei nicht getretenem Pedal ist das Niedergewicht der Bassregion höher und wir trainieren durch die Erschwernis unseren Spielapparat.

Ich freue mich, Ihnen hier erprobte Tipps aus meinem Unterricht vorgestellt zu haben. Die Auswahl werde ich noch erweitern mit Themen zu Trillern, Repetitionen etc.. Ich wünsche Ihnen viel Spaß und Erfolg beim Ausprobieren der Tipps!

Und hier warten weitere Übetipps auf Sie:

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