Üben - wie kann ich es mir leichter machen, Klavier üben„Wie kann ich es mir leichter machen?“ – eine der zentralen Fragen für ein Üben mit Spaß und Erfolg!

Wenn wir fröhlich und motiviert am Klavier sitzen und mit dem Üben beginnen wollen, fühlen wir uns manchmal überfordert. Wir haben vielleicht Probleme mit einer Stelle oder wissen nicht, wie wir uns am besten ein neues Stück erarbeiten.

„Will man Schweres bewältigen, muss man es sich leicht machen!“

Bertolt Brecht

Basierend auf unserem Lernverhalten gibt es eine Menge Übetricks, die allgemeingültig sind, auch wenn die Art der Anwendung individuell ist und von unseren Fähigkeiten und den Anforderungen des Stücks abhängt. Diese Übetricks sind das Handwerkszeug, das uns hilft, mit Leichtigkeit zu üben und dabei die besten Erfolge zu erzielen!

Probieren Sie in Ruhe und Gelassenheit das aus, was Sie am meisten anspricht und Ihnen hilft!

2.1 Die Aufmerksamkeit nur auf einen Aspekt richten

Stellen wir uns vor, wir sitzen am Klavier, haben den Notentext parat und wollen etwas üben, was wir noch nicht können. Folgender innerer Monolog könnte ablaufen: „So, da sind Violin- und Bassschlüssel, puh – viele Noten ….wie heißt nochmal diese Note….mit welchem Finger soll ich jetzt die Note spielen…..oh Mist, daneben….und der Rhythmus …… und die Lautstärke……und das Tempo…oh je, so viel auf einmal ….. verdammt, wieder falsch…. .“

Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit

Auf so vieles gleichzeitig zu achten, führt zu Stress, Hektik und Unachtsamkeit. Wir können uns nicht mehr zuhören (s. Klavier üben – Grundsätze ) und verkrampfen. Fehler sind die logische Folge. Das bedeutet umgekehrt, dass wir uns nicht zuviel auf einmal vornehmen sollten! Gerhard Mantel nennt es das „Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit“. Wir richten unsere Aufmerksamkeit wie einen Scheinwerfer nur auf ein Element des Stücks und so können wir bei der Erarbeitung einer Stelle folgendermaßen vorgehen:

  • Notentext anschauen, Strukturen erkennen, uns vorstellen, wie er klingen könnte
  • Noten einer Stimme oder Hand lesen, Melodieverläufe als Ganzes erfassen (s. Noten lesen)
  • Töne dieser Stimme spielen mit freiem Fingersatz, ohne Rhythmus und gemütlich langsam, hören
  • Fingersatz überlegen und anwenden
  • Rhythmus ohne Instrument körperlich darstellen, s. Punkt 2.2
  • Töne rhythmisch richtig spielen, so langsam wie nötig
  • Charakter, Emotionen und musikalische Gestaltung konkretisieren (Dynamik, klangliche Differenzierung, Phrasierung, Artikulation, Tempo, Agogik – jeder Parameter ist ein Aspekt für sich)
  • Konzentration auf den Klang, das Körpergefühl, die Bewegungen, die Atmung

Unsere Wahrnehmung richtet sich nacheinander immer nur auf einen Aspekt instrumentalen Übens. So können wir diesem Aspekt unsere volle Konzentration widmen, ihn bewusst wahrnehmen und abspeichern. Wir haben Kapazitäten frei, um uns zuzuhören und unnötige Spannungen unseres Körpers wahrzunehmen. Wir vermeiden Fehler in musikalischer und technischer Hinsicht und ersparen uns eine Menge Arbeit!

Wie wir diesen Prozess strukturieren und was wir als „einen Aspekt“ betrachten, hängt von unseren musikalischen und technischen Fähigkeiten ab. Ein fortgeschrittener Spieler wird viele der oben angeführten Aspekte als einen einzigen betrachten. Ein Anfänger beschäftigt sich erst einmal mit Wenigem!

Mit zunehmender Wiederholung wird es immer einfacher: die verschiedenen Wahrnehmungen der Aspekte verschmelzen miteinander, die Klangvorstellung und technische Umsetzung verfeinern sich. Stress und Hektik werden vermieden. Der Übeprozess bleibt spannend und abwechslungsreich durch die verschiedenen Blickwinkel der Aufmerksamkeit auf eine Stelle.

2.2 Rhythmus, Puls, Metrum gesondert erleben

Bei der Erarbeitung eines Stücks machen wir es uns leichter, wenn wir die rhythmische Gestaltung gesondert erleben und üben. Dies ist in der Regel notwendig bei Anfängern, aber auch bei Fortgeschrittenen, die komplexere Rhythmen spielen wollen. Eine gute rhythmische Ausbildung, die Puls, Rhythmus und Metrum körperlich erleben lässt und rhythmische Muster (Chunks) unabhängig von Stücken als Bausteine etabliert, ist sehr wichtig für das eigene Musizieren. Hier können Sie mehr darüber erfahren!

Geeignete Methoden können sein:

  • Puls selbsttätig erzeugen durch z.B. Gehen; Rhythmen dazu klatschen; dabei evtl. laut zählen; die Bewegungen sind geschmeidig und schwingen
  • am Klavier den Puls mit einer Hand auf den Oberschenkel locker klopfen; mit der anderen Hand die entsprechende Stelle spielen/den Rhythmus auf den Klavierdeckel klopfen/sprechen/singen
  • klatschen und zählen
  • Rhythmussprache verwenden
  • einen Text erfinden zum Rhythmus
  • laut zählen, aber nur, wenn ein Puls- und Rhythmusgefühl bereits etabliert ist
  • Rhythmen vereinfachen, indem Teile weggelassen werden und das rhythmische Gerüst erkennbar wird; später sukzessive die Teile hinzufügen
  • …..

2.3 So langsam spielen wie nötig

Wenn wir langsam spielen, haben wir wesentlich mehr Zeit für die Ausführung. Wir können uns entspannen und haben genug Zeit, die einzelnen Aspekte bewusst wahrzunehmen.

Dazu müssen wir manchmal sehr, sehr langsam spielen und das fällt nicht immer leicht. Wir denken, dass wir langsamer spielen, aber wir tun es nicht (Aufnehmen hilft!). Wir sind nicht daran gewöhnt, so langsam zu hören, die Stelle hörend „unter die Lupe“ zu nehmen.

Manchmal helfen Metaphern wie „Zeitlupe“, „unter die Lupe nehmen“, „Schneckentempo“, „wie ein Faultier spielen“, manchmal helfen Hinweise wie „wenige Töne spielen“, „Töne lang hören“, „jeden Ton genießen“, „jeden Ton kennen lernen“, „auf die Zusammenklänge hören“, „gemütlich spielen“ etc.. Das Tempo stimmt dann, wenn wir keine Fehler mehr machen, uns noch in Ruhe zuhören und unseren Körper bewusst wahrnehmen können (Durchlässigkeit – s. Klaviertechnik 1 – Grundlagen). Wenn wir Fehler machen, spielen wir zu schnell oder sollten andere Übestrategien wählen.

Um zu lernen, in verschiedenen Geschwindigkeiten zu spielen, ist es hilfreich, Pulse in verschiedenen Geschwindigkeiten zu gehen. Wir wählen also ein Tempo aus und gehen den Puls in diesem Tempo. Dazu klatschen wir dann eine bestimmte rhythmische Abfolge (z.B. aus dem aktuellen Stück). Anschließend wählen wir ein anderes Schritttempo aus und klatschen erneut den Rhythmus dazu… .

Dieses Prinzip übertragen wir auf unser Spiel, indem wir am Klavier den Puls einer Stelle vorab in einem ausgewählten Tempo mit einer Hand klopfen und dann die andere Hand dazu spielen. Dann wählen wir ein anderes Tempo und anschließend wieder ein anderes… . So trainieren wir, Stellen in verschiedenen Geschwindigkeiten zu spielen und im Tempo flexibel auf Schwierigkeiten zu reagieren.

Beim Spielen im langsamen Tempo geht es letztendlich darum, jeden Ton, die Beziehung zwischen zwei Tönen, Zusammenklänge und alle dazugehörigen Details bewusst wahrzunehmen. Plötzlich klappt, was nicht geklappt hat. Das solide Fundament, das so geschaffen wird, führt dazu, dass wir insgesamt weniger Zeit brauchen und effektiver sind.

Mit zunehmender Übung werden die Abläufe automatisiert und das Tempo stufenweise erhöht. Das geht manchmal erstaunlich schnell! Doch sollten wir immer mal wieder einen langsamen Durchgang machen, um das Bewusstsein für die Details nicht zu verlieren und das sog. Fingergedächtnis auszuschalten.

Auch bei Repertoirestücken sollten wir immer wieder „eine ruhige Kugel“ schieben, um nicht nur einen Film abzuspulen, sondern die einzelnen Bilder/Klänge ins Bewusstsein zu rufen. Auch vor Konzerten ist es hilfreich, alles nur ganz langsam durchzuspielen.

2.4 Stimmenweise üben

Wir können die Frage „Wie können wir es uns leichter machen“ auch beantworten, indem wir die Hände erst einmal stimmenweise spielen und bewusst wahrnehmen, wie die einzelnen Stimmen klingen und was jede Hand dazu tut.

Unser Üben wird einfacher, weil wir nicht alles auf einmal umsetzen müssen, sondern uns erst einmal auf einzelne  musikalische Elemente und Strukturen konzentrieren. In Ein neues Klavierstück: üben – hören – entdecken wird dazu auch aus musikalischer Sicht viel gesagt.

Dabei ist das stimmenweise Üben nicht zu verwechseln mit dem einzelnen Üben jeder Hand! Eine Stimme kann sich auf beide Hände verteilen und eine Hand kann mehrere Stimmen spielen. Wenn in jeder Hand eine Stimme gespielt wird, ist das stimmenweise Üben tatsächlich gleichbedeutend mit „einzeln üben“.

Der Vorteil dieser Übestrategie liegt auch darin, dass wir nahezu von Anfang an in verschiedenen Tempi spielen können. Eine Stimme können wir beispielsweise bald im Tempo spielen, die Kombination zweier Stimmen im mittleren Tempo, während alles zusammen nur sehr langsam funktioniert.

Ausschließliches langsames Spielen ist kontraproduktiv, weil einerseits sich unser Ohr an das langsame Tempo gewöhnt und wir uns das Originaltempo gar nicht mehr vorstellen können! Andererseits sind auch unsere Bewegungen im schnelleren Tempo anders als im langsamen. In unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu spielen, ermöglicht eine differenzierte Bewegungsfindung und macht außerdem mehr Spaß.

Auch bei problematischen Stellen kann es sich lohnen, noch einmal stimmenweise zu spielen. Wir erkennen möglicherweise, wo das Problem eigentlich liegt.

2.5 Kleine Abschnitte spielen

Leichter wird es auch, wenn wir die Anzahl der Töne verringern, die wir spielen. In dem Fall ist Quantität ausnahmsweise gleich Qualität – weniger ist mehr!

Stellen wir uns vor, wir müssten etwas auswendig lernen, z.B. Vokabeln oder Texte. Es leuchtet ein, dass es nicht effektiv ist, 50 Vokabeln immer wieder hintereinander zu lernen. Kaum sind wir am Ende angekommen, haben wir den Anfang schon wieder vergessen. Unser Arbeitsgedächtnis kann nur eine begrenzte Anzahl von Informationen behalten. Was tun wir? Wir basteln kleine Päckchen von vielleicht 5 oder 10 Vokabeln, wiederholen sie und lernen so viel schneller und effektiver. Warum? Weil wir uns auf das konzentrieren, was unser Hirn noch aufnehmen kann.

Wie viel das ist, ist sehr unterschiedlich. Beim Klavierspielen kann das eine viertaktige Phrase sein oder nur ein paar wenige Töne. Es hängt davon ab, welche Fähigkeiten wir besitzen und wie schwer die jeweilige Stelle ist. Durchspielend holpern ist keine Alternative, weil wir uns Unsicherheiten und Fehler angewöhnen. Wenn das, was wir spielen, nicht klappt, können wir reagieren, indem wir den Abschnitt verkleinern. Wichtig dabei ist, überlappend zu üben, d.h. immer die Übergänge zur nächsten Stelle in den Abschnitt zu integrieren!

Wenn wir die einzelnen kleinen Abschnitte gelernt haben, setzen wir sie wie ein Puzzle zusammen. Zunächst mit dem Abschnitt davor und danach, dann in größeren Teilen. So entsteht irgendwann das große Ganze.

2.6 Stehen bleiben 

Es kommt vor, dass wir immer wieder an einer Stelle falsch spielen oder hängen bleiben. An genau dieser Stelle stehen zu bleiben und einige Sekunden zu verharren, schärft das Bewusstsein für den Klang und die Ausführung dieser Stelle! Wir haben Zeit, uns zu merken, was wir dort tun müssen. Der Fehler wird behoben!

2.7 Vorwärts und rückwärts additiv üben

Nachdem wir eine schwierige Stelle durch Stehen bleiben oder sehr kleine Abschnitte auf ihr Kernproblem reduziert haben, sollten wir sie anschließend in den sie umgebenden Kontext stellen. Dieser wichtige Schritt wird oft vergessen! Dazu können wir ausgehend von der Stelle immer einen Ton/mehrere Töne dazu nehmen, entweder vorwärts oder rückwärts. Wir lernen also die klangliche Umgebung genau kennen sowie den Weg zur momentan problematischen Stelle hin und von der Stelle weg. Auf diese Weise ist das Problem bald keines mehr und Sicherheit stellt sich ein!

2.8 Töne weglassen

Töne wegzulassen, ist ein sehr effektives Werkzeug, mit dem wir musikalische Strukturen deutlich und es uns gleichzeitig leichter machen können!

Das stimmenweise Üben gehört dazu, aber auch Herangehensweisen, die ich in „Ein neues Klavierstück: üben – hören – entdecken“ näher beschrieben habe. Ein großer Vorteil liegt außerdem darin, dass wir durch das Weglassen von Tönen die Stellen oder Stücke schon im Tempo spielen können und Ohr und Motorik sich an das Endtempo gewöhnen.

2.9 Schwierige Stellen während des Übens mehrmals kurz üben

In Klavier üben – Grundsätze habe ich diesen Punkt schon angesprochen: es ist sehr hilfreich und auch viel abwechslungsreicher, sich nicht ewig an schwierigen Stellen aufzuhalten, sondern sie während einer Übeeinheit immer wieder kurz zu üben. Gedächtnis, Motorik und Klangvorstellung werden trainiert und wir können so sehr schnell Probleme beheben.

2.10 Wiederholen

Wiederholungen sind wichtig, um neue oder noch unsichere Stellen zu automatisieren, also in Klang und Bewegungskoordination abzuspeichern. Wenn wir an einer Stelle oder einem Stück arbeiten, merken wir, dass wir durch Wiederholung immer sicherer werden und unsere Aufmerksamkeit auf immer mehr musikalische Aspekte richten können.

Stupides Wiederholen ist allerdings langweilig und schädlich, da wir uns nicht mehr genau zuhören und uns mechanisches Spiel angewöhnen. Jede Wiederholung sollte für uns etwas Neues beinhalten, durch das wir wach und frisch bleiben. Mehr dazu im Beitrag „Klavier üben – Grundsätze“ unter 1.10.

2.11 Stück zu Beginn des Übens durchspielen

Mit einfachen Übetricks können wir uns eine Menge Ärger ersparen! Dazu gehört auch, das Stück, das wir gerade formvollendet in kleinen Abschnitten geübt und kreativ und klanglich erforscht haben, anschließend auf keinen Fall durchzuspielen!

Warum nicht? Weil wir das, was wir gerade so effektiv programmiert haben, mit einem Rutsch zunichte machen! Wir haben uns mit Teilen des Stücks sorgsam eine ganze Weile mit gutem Ergebnis beschäftigt. Wenn wir das Stück nun im Tempo durchspielen, werden wir in alte Fehler zurückfallen und die Arbeit ist dahin. Die Fehler und unerwünschten Klänge, an denen wir gearbeitet haben, treten wieder auf und werden erneut gespeichert. Schwerer können wir es uns kaum machen.

Manchmal ist es sinnvoll, anschließend das Stück LANGSAM durchzuspielen – ich bevorzuge jede Art des Durchspielens jedoch immer VOR der Arbeit an Teilen und Stellen! Dann hören wir auch, welche Stellen wir noch verbessern möchten.

2.12 Variabel üben

Variantenreich und kreativ zu üben ist abwechslungsreich, macht Spaß und schult unsere musikalischen und technischen Fähigkeiten. Unser Nervensystem ist nicht fixiert auf einen einzigen Weg, sondern passt sich verschiedenen Klangsituationen an. Musik erklingt immer in einem spontanen, schöpferischen Akt und deshalb ist jede Fixierung und Einseitigkeit kontraproduktiv.

So können wir munter transponieren, musikalische Bausteine für eigene Improvisationen nehmen, verschiedene Versionen einer Stelle spielen, Artikulation, Dynamik etc. verändern, Stücke anders weiterführen, Hände tauschen, Stellen erschweren u.v.a.m.

2.13 Eine Hand spielt, eine Hand klopft

Wenn wir den gesamten Notentext mit beiden Händen spielen wollen, bekommen wir manchmal Probleme. Neben den Möglichkeiten, langsam zu spielen, abschnittsweise zu üben und anderen oben beschriebenen Übestrategien können wir auch eine Hand spielen und die andere klopfen (den Rhythmus auf den Klavierdeckel, das Bein etc. klopfen).

Wir übertreiben auf diese Weise die Bewegungen einer Hand und trainieren unsere Grobmotorik. Grundsätzlich baut die Entwicklung der Feinmotorik auf differenzierten grobmotorischen Fähigkeiten auf – diese Tatsache können wir nutzen!

Wir bekommen durch die größere Bewegung (Klopfen) ein besseres Gefühl für die Interaktion und Koordination beider Hände und machen sie uns bewusster. Manchmal stören sich die Bewegungen beider Hände und eine Hand bringt die andere ins Stolpern.

Außerdem machen wir es uns leichter, weil wir uns nicht zusätzlich auf Töne etc. der klopfenden Hand konzentrieren müssen – oft können wir bereits im Tempo spielen.

Sehr sinnvoll ist das Klopfen bei rhythmischen Begleitmustern einer Hand (nachschlagende Achtel, Synkopen, …). Genau andersherum können wir zu einem Ostinato die Melodie klopfen. Aber auch kleine zweistimmige Stücke für Anfänger können so geübt werden. Die Einsatzmöglichkeiten sind praktisch unbegrenzt.

Anschließend spielen wir beide Hände und staunen begeistert, wie viel besser dies nun funktioniert.

Von der Grobmotorik zur Feinmotorik!

2.14 Tempofindung

Manchmal haben wir Schwierigkeiten, bei einem bereits erarbeiteten Stück unser Tempo von Anfang an sicher zu finden. Wir müssen erst „reinkommen“.

Folgende Tipps helfen:

  • eine Stelle im Stück auswählen, bei der die Klangvorstellung des Tempos intuitiv sicher ist (oft mit kleineren Notenwerten).
  • diese Stelle inklusive der nächsten Schritte eine längere Zeit immer vor dem Durchspielen des Stücks spielen.
  • danach den Puls dieser Stelle mit einer Hand (meistens mit der linken Hand) auf das Bein klopfen.
  • Puls weiter klopfen, Anfang des Stücks dazu vorstellen/singen/sprechen/die andere Hand zum Puls spielen.
  • Anfang des Stücks oder ganzes Stück spielen.
  • später reicht es, sich alle Schritte ausschließlich mental vorzustellen (erst die im Tempo sichere Stelle, dann deren Puls, anschließend den Beginn des Stücks in diesem Puls).

Manchmal kann auch Rhythmussprache etc. helfen. Immer aber ist es notwendig, vor dem Spielen in seiner Vorstellung ein sicheres Pulsgefühl zu etablieren und sich den Beginn in diesem Puls genau vorzustellen.

Bei Interesse: wenn wir Lampenfieber bei Auftritten haben, geht unser Puls schneller und wir neigen dazu, am Anfang eines Stücks zu schnell vorwärts zu stürmen. Wir haben uns beim Üben an ein bestimmtes Verhältnis des Tempos zu unserem Puls gewöhnt. Dieses (unbewusste) Verhältnis wollen wir beim Auftritt beibehalten und fangen deshalb zu schnell an.

Gerade dann ist eine gute mentale Vorbereitung und tiefes Durchatmen wichtig!

2.15 Auswendig üben

Die einfachste Methode, ein Stück auswendig zu lernen, besteht darin, es auswendig zu üben!

Dazu müssen wir das Stück in seinen Details wie auch als Ganzes genau kennen. Das mentale Üben wie auch die Tipps zur Herangehensweise an ein neues Stück sind dabei eine große Hilfe. Es lohnt sich sehr, so zu üben, denn wir erlangen eine große Sicherheit und tiefes Bewusstsein für die Klangstrukturen und die dafür erforderliche Bewegungen. Auch in Konzerten haben wir es wesentlich leichter!

Für Anfänger ist das auswendige Üben allerdings nur eingeschränkt zu empfehlen, da sie noch nicht das Wissen und die Erfahrung gesammelt haben, Fehler zu bemerken. Es ist sehr ärgerlich, wenn sie möglicherweise erst nach einiger Zeit Fehler entdecken, die dann schon gespeichert sind und nur schwer wieder verbessert werden können. Eine engmaschige Kontrolle und Überprüfung ist dann notwendig.

Das Thema „Auswendig lernen“ werde ich später in einem eigenen Beitrag behandeln. Es ist ein umfangreiches Thema, das die Disposition der verschiedenen Lerntypen berücksichtigt und sehr individuelle Lösungen bietet.

2.16 Musikalischen Ausdruck verbessern

Unter diesem Punkt fasse ich Aspekte zusammen, mit denen wir eine größere musikalische Ausdrucksfähigkeit erlangen. Wir machen es uns leichter, Musik und unsere Empfindungen besser zu verstehen, indem wir

Musik verbalisieren

Ein großer Teil des menschlichen Denkens ist nonverbal wir denken in Beziehungen, Farben, Gerüchen, Emotionen… . Auch Musik ist nonverbal und berührt uns direkt mit ihren Emotionen. Wenn wir als Interpreten uns mit einem Stück beschäftigen, werden Charakter, Empfindung und Ausdruck klarer, wenn wir individuelle Bilder und Metaphern kreieren, Geschichten erfinden und dabei die Sprache nutzen. Wir reflektieren über das, was wir aussagen wollen und unsere Vorstellung konkretisiert sich.

Musik körperlich umsetzen

Besonders Kinder erleben Musik über Bewegung! Um ein Stück überzeugend zu spielen, können sie den Charakter ganzkörperlich darstellen und ihr Gefühl anschließend auf ihr Klavierspiel übertragen. Ein Stück, das z.B. einen König klanglich darstellt, bekommt eine ganz andere Überzeugungskraft, wenn das Kind überlegt, welche Eigenschaften dieser König hat und sich anschließend (wie ein Schauspieler) entsprechend bewegt.

Singen

Singen ist die natürlichste Form des Musizierens. Wir erzeugen die Töne mit unserem eigenen Körper und erfahren dabei, dass es ohne eine Vorstellung der Töne und ihrer Beziehungen zueinander nicht geht. Wenn wir vom Blatt singen oder eine Melodie unseres Stücks nachsingen können, ist das für unsere musikalische Vorstellungs- und Gestaltungskraft ein großer Gewinn. Ob wir dabei alle Töne treffen und wie unsere Stimme klingt, ist völlig unerheblich. Es kostet vielleicht Überwindung und ist auch nicht jedermanns Sache. Aber wer wagt, gewinnt!

2.17 Mehrere Stücke üben

Wenn wir mehrere Stücke gleichzeitig üben, wird es für uns leichter, wenn wir diese Stücke durcheinander und gemischt üben. Unser Gehirn vertieft dann die Inhalte längerfristig. Es ist nicht sinnvoll, beispielsweise zwei Tage konzentriert ein Stück zu üben und die nächsten zwei Tage das zweite.

Grundsätzlich sollten wenigstens zwei Stücke unterschiedlichen Charakters mit verschiedenen musikalischen und technischen Anforderungen gleichzeitig erarbeitet werden. Die Spielfreude und Lust steigt und die Möglichkeiten und Fähigkeiten wachsen. Allerdings kann dies auch individuell verschieden sein.

2.18 Sich aufnehmen

Sich aufzunehmen ist eine wertvolle Erfahrung, die uns Rückmeldung darüber gibt, wie wir uns zuhören. Nicht selten erschrecken wir und denken: „Habe ich das wirklich so gespielt?“

Wir machen es uns aber leichter, wenn wir diese zusätzliche Überprüfung unseres Hörens und Spielens in unser Üben einbeziehen! Unser Spiel wird davon sehr profitieren!

2.19 Interpretationen hören

Im Laufe der Erarbeitung eines Stücks kristallisiert sich immer klarer unsere Vorstellung und Interpretation heraus. Es ist ein Gewinn, sich dann – und aus meiner Sicht unbedingt erst dann – andere Sichten, Perspektiven und Interpretationen anzuhören. Sie fordern uns heraus, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, denn in der Regel klingen sie anders und sagen auch etwas anderes aus.

Hören wir bereits am Anfang unserer Beschäftigung mit dem Stück eine Aufnahme, werden wir davon viel zu sehr beeinflusst und auf dem Weg zu unserer persönlichen musikalischen Aussage behindert.

2.20 Resümee

Die vorgestellten Übetricks auch in den anderen Beiträgen sollen ermutigen zu einem Üben, das durch eine große Variabilität sehr individuell gestaltet werden kann und zum Experimentieren und spielerischen Ausprobieren einlädt! Die Übemöglichkeiten bieten eine Vielzahl von Lernwegen, die gleichermaßen effektiv wie produktiv und kreativ sind. Mit immer mehr Erfahrung lernen wir uns und unser Üben immer besser kennen und wissen, mit welchen Methoden wir bestehende Schwierigkeiten am schnellsten und leichtesten auflösen. Wir haben Erfolg und Spaß und erweitern mit viel Spielfreude unsere musikalischen und technischen Fähigkeiten!

Dazu können Sie auch die weiteren Beiträge über ein erfüllendes und effektives Üben lesen:

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