Klaviertechnik - der Arm

An dieser Stelle mehr auf den so wichtigen Einsatz des Arms beim Klavierspielen einzugehen, ist mir ein großes Anliegen! Immer wieder erlebe ich ein Klavierspiel, das mit eher statischen Bewegungen ausgeführt wird und daher unfrei und eindimensional klingt. Hände sollen stets so gehalten werden, als ob man einen Tennisball hielte, anstatt flexibel auf die unterschiedlichen Anforderungen zu reagieren. Technische Übungen erschöpfen sich in Fingertraining, statt die Koordination unterschiedlichster Bewegungsmuster unter Einbeziehung des gesamten Spielapparates zu üben.

„Wenn du spielst, so muss es aussehen, als schmeicheltest du den Tasten und nicht als wolltest du einen Kampf mit denselben ausführen.

Emil Söchting

Vielleicht liegt das an alten, überkommenen Grundsätzen der Klavierpädagogik, vielleicht liegt es daran, dass die Stücke vieler Klavierschulen in sog. „Lagen“ geschrieben sind, bei denen jedem Finger eine Taste zugeordnet ist. Schüler, die ausschließlich nach Schulen spielen, nicht improvisieren oder Lieder nach Gehör spielen etc., gewöhnen sich an diese relativ statischen Lagen.

2.1 Fließend und leicht

In Klaviertechnik 1 – Grundlagen habe ich beschrieben, dass Klavierspielen genau das Gegenteil von „statisch“ ist. Mit fließenden Bewegungen unter Ausnutzung aller Bewegungsmöglichkeiten und Hebel wird musiziert. Der ganze Körper ist beteiligt und Leichtigkeit und Durchlässigkeit bestimmen das Spiel. Unsere Emotionen, unser Gehör und Musikverständnis bestimmen die Qualität unserer inneren Klangvorstellung, mit der wir unsere zur Umsetzung notwendigen Spielbewegungen herausfinden. Das Ohr nimmt die gespielten Klänge wahr und kontrolliert, ob der gespielte Klang gefällt und somit die Bewegung stimmt. Klangvorstellung, Gehör und Sensomotorik arbeiten in feiner Interaktion zusammen und verfeinern sich stetig.

2.2 Funktion des Arms

Dabei spielt der Arm eine entscheidende Rolle. Ohne eine gute Armführung können die Fingerkuppen die Tasten nicht optimal erreichen und erfühlen. Ohne den Einsatz des Arms bei der Klanggestaltung bleiben uns nur noch Hand und Finger als Impulsgeber – eine weit unter ihren Möglichkeiten bleibende, schlechte Klangdifferenzierung ist die Folge.

Tonleitern klingen nur mit einer guten Armführung virtuos und perlend (zu Übungszwecken lasse ich gern ein glissando auf den Tasten spielen). Bei unbequemen Passagen über das bisweilen recht hügelige Gelände der weißen und schwarzen Tasten nimmt uns der Arm quasi an die Hand und führt uns durch und über das Terrain. Er fasst kleinere Bewegungen in einer übergeordneten Bewegung zusammen. Sprünge werden durch den Arm vorbereitet, so dass die Finger schon kurz vor dem Anschlag die Tasten berühren und sogar noch Zeit zur Entspannung haben.

Der Arm ist sehr schnell, wie wir bei dem Fangen von Bällen, gerade noch rechtzeitig geretteten stürzenden Gegenständen oder den berüchtigten Ohrfeigenszenen aus alten Filmen sehen können. Wir benötigen ihn auch für fließende und geschmeidige Bewegungen. Setzen wir den Arm nicht effektiv ein, resultieren daraus häufig Verkrampfungen und Blockaden, die den Klang hart und eng machen anstatt frei und offen.

In so einem Fall dem Schüler zu raten, entspannt zu sein und locker zu bleiben, bewirkt häufig genau das Gegenteil. Denn der Schüler weiß nicht, was er denn nun genau verändern soll und wie er es tun kann. Besser ist es, mit ihm zusammen die für ihn passenden Bewegungen zu finden, mit denen er den Klang verbessern kann. Also gemeinsam sehr genau und konkret an der Bewegungsfindung zu arbeiten immer mit dem Ziel, die eigene, sich stets verfeinernde Klangvorstellung zu realisieren.

In welcher Weise setzt man nun den Arm beim Klavierspielen ein?

2.2.1 Armführung

Bewegungstechnisch gibt es in der Musik jede Menge Richtungsänderungen, Sprünge, Spielfiguren, bequeme und unbequeme Passagen u.v.a.m. Sie erfordern alle eine Koordination verschiedener Bewegungsabläufe unter Beteiligung der Arme und des gesamten Spielapparates. Manchmal erscheint diese Koordination schwierig. Doch wenn wir uns überlegen, was wir alle für komplexe Bewegungsabläufe meistern ohne auch nur mit der Wimper zu zucken (z.B. Auto fahren, beim Sonntagsfrühstück locker zum Salzstreuer greifen, während wir genüsslich unseren Kaffee schlürfen oder im Kino quasi blind beim Nachbarn in die Popcorntüte greifen), wird klar, dass es nur eine Frage der Übung ist.

Ellipsen, Wellen, Drehungen

Der Arm bewegt sich beim Klavierspielen in Form von Ellipsen, Drehungen, Wellen, Kreisen, Kurven. Er fasst die Töne einer musikalischen Gestalt zu einer, den Bewegungen von Hand und Fingern übergeordneten, fließenden Bewegung zusammen. Claudio Arrau verlangte, dass sich der Arm wie eine Schlange bewegen müsse.

Die Ellipse ist dabei eine der wichtigsten Bewegungen von Arm, Hand und Handgelenk. Sie gleicht die verschiedenen Fingerlängen aus und bringt die Finger so zu den Tasten, dass sie optimal anschlagen können. Richtungsänderungen sind bei Ellipsen überhaupt kein Problem – zur Veranschaulichung kann man liegende Achten in die Luft zeichnen. Zudem sind an elliptischen Bewegungen immer mehrere Muskelgruppen, Agonisten und Antagonisten beteiligt. Mit einem Minimum an Energieaufwand wird so ein Maximum an Leistung und Klangdifferenzierung erreicht – ein physisch anstrengungsloses Klavierspiel ist die Folge.

In der Regel wird die Ellipse rechts gegen und links mit dem Uhrzeigersinn ausgeführt. Trockenübungen am Klavier (ohne zu spielen) verdeutlichen, dass die Ellipsen beider Hände wie die Hände selbst spiegelbildlich sind. Fortgeschrittene Klavierliteratur erfordert jedoch manchmal auch Ellipsen in die andere Richtung. Es hängt auch von individuellen Gewohnheiten und Voraussetzungen ab, welche Bewegungen für uns sinnvoll und effektiv sind!

Rotation

Das Schultergelenk ist das beweglichste Kugelgelenk unseres Körpers, das uns viel Bewegungsfreiheit in alle Richtungen gibt. Unter anderem ermöglicht es unserem Arm zu rotieren, sich also um die eigene (Längs-)Achse zu drehen.

Besondere Beachtung verdient auch das Ellenbogengelenk. Als zusammengesetztes Gelenk ermöglicht es, dass sich die Speiche um die Elle bewegen und unser Unterarm rotieren kann (Pronation und Supination). Diese Bewegung ist beim Klavierspielen primär führend bei Albertibässen, Tremoli und Trillern. Eine gute Armführung schließt immer auch rotierende Bewegungen mit ein, auch wenn sie manchmal kaum zu sehen sind.

Durchlässigkeit

Letztendlich ist es wichtig, dass die Gelenke des gesamten Körpers beim Klavierspielen „in Bewegungsbereitschaft“ und nicht blockiert sind. Dann ermöglichen sie Durchlässigkeit, Gelöstheit und eine möglichst große Entspanntheit (so entspannt wie möglich, so gespannt wie nötig). Dazu können wir uns vorstellen, dass ein Energiestrom ohne Unterbrechung (also ohne Staumauer oder Blockade) ausgelöst von unserer Klangvorstellung von der Körpermitte über Rücken, Schultern, Arme, Hand, Finger und Fingerkuppen in die Taste fließt, aus dem Instrument in den Raum strömt und wieder zurück an unser Ohr oder auch an die Ohren des evtl. vorhandenen Publikums gelangt. Sind wir durchlässig, können wir jederzeit flexibel auf die Forderungen des Ohrs und der Klangvorstellung reagieren und klanglich sehr differenzieren.

2.2.2 Der Einsatz des Arms bei der Klangerzeugung

Eine häufige Frage lautet, wie wir denn einen wunderschön singenden und vollen Ton erzeugen können.

Impulse und Schwünge

Die Antwort lautet: durch den Einsatz des Armes, mit dem viel mehr Masse bewegt werden kann. Diese Masse kann mit Hilfe von Impulsen unter Einbeziehung aller Hebel sehr fein dosiert werden und führt zu einem sehr nuancenreichen Klavierspiel.

Angenommen, wir wollen einen vollen, singenden Ton erzeugen, der z.B. eine Melodie eröffnet!

Stellen wir uns dazu vor, unsere Unterarme seien Kuppelstangen einer Dampflok. Wir bewegen sie zunächst auf gleicher Ebene ohne zu spielen vor und zurück, vor und zurück. Wenn wir nun einen Ton anschlagen, benutzen wir genau diese Bewegung. Wir fühlen deutlich den Kontakt unserer Fingerkuppen mit der Taste (Tastenkontakt!) und bewegen den Arm aus Rücken und Schultergelenk nach vorn wie die Kuppelstange einer Dampflok. Der Arm fungiert also als Impulsgeber! Die Finger übernehmen diesen Impuls in Form von Stützreflexen und übertragen ihn auf die Taste. Sie sind selbst nicht aktiv. Da die Fingerkuppe an Ort und Stelle bleibt, verkürzt sich der Weg: das Handgelenk geht hoch, die Taste runter und der Ton erklingt. Wichtig ist dabei die innere Vorstellung des Tons, der schon vor dem Anschlag quasi „vorgehört“ wird!

Geschwindigkeit und Masse

Nun können wir munter experimentieren mit der Geschwindigkeit der Bewegung wie auch der Masse, die eingesetzt wird! Denn das sind die zwei Einflussgrößen, die wir verändern können. Wir stellen fest, dass bei ungefähr gleichem Masseeinsatz ein schneller Schwung einen lauteren Ton hervorruft und ein langsamerer Impuls unserer Vorstellung eines singenden Tons mehr entgegenkommt. Mit der gleichen Geschwindigkeit, aber unterschiedlicher Masse können wir ein sehr leichtes, luftiges staccato spielen können (wenig Masse, Fingerkuppe umspielt den Auslösepunkt), aber auch ein sehr kräftiges energisches staccato (mehr Masse, Fingerkuppe erreicht den Tastenboden). Wir erfahren, dass wir mit Variationen von Masse und Geschwindigkeit sehr unterschiedliche Impulse und damit sehr unterschiedliche Klänge erzeugen können. Uns stehen alle Möglichkeiten offen!

Arm nach dem Anschlag leicht machen

Da der Klang nun gespielt ist und wir ihn über die Taste nicht mehr beeinflussen können, müssen wir die Taste nur noch ganz leicht unten halten (es sei denn, wir wollen staccato o.ä. spielen). Wir üben keinerlei Druck gegen den Tastenboden aus, sondern die Taste muss nur noch gerade unten bleiben.

Auf diese Weise brauchen wir nicht viel Muskeltätigkeit und Energie! Viele Klavierspieler strengen sich beim Klavierspielen viel zu sehr an, spielen mit zuviel Druck und Muskelspannung. Wenn wir uns überlegen, dass man eine Bowlingkugel auch nur einmal anschiebt und sie den Rest des Weges allein erledigt, wird vielleicht klar, dass „Loslassen“ und „Leichtmachen“ wichtige Eigenschaften eines Klavierspiels sind, das durch Impulse und fließende Bewegungen getragen wird.

Dabei ist der Arm in allen Gelenken völlig frei beweglich und durchlässig! Ein schönes Bild ist das einer Hängebrücke: der Arm ist wie eine Hängebrücke an zwei Punkten aufgehängt: einmal am Schulterblatt/Rücken und einmal an den Fingerkuppen (Tastenkontakt!). Dazwischen ist er völlig frei und schwingt. Wir können uns vorstellen, dass der Ellenbogen schwebt.

Wenn wir dann noch die Taste selbst, die ja viel länger ist, als wir sie optisch wahrnehmen, als Verlängerung unseres Spielapparates und unserer Finger begreifen und mit ihr über einen sensiblen Tastenkontakt unserer Fingerkuppen verschmelzen, wenn wir uns vorstellen, dass wir in eine herrlich dicke, weiche Matratze einsinken (Tastatur), haben wir gute Voraussetzungen, eine differenzierte Klangkultur zu erreichen.

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